Bruder Lorenz und die Übung der Gegenwart Gottes

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Zeitgenössische Ansicht des Klosters, in dem Bruder Lorenz Mönch war.

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Heutige Ansicht (Bild entnommen aus Google Street-View).

Inhalt

Der französische Karmelitermönch Bruder Lorenz (1614-1691) praktizierte eine scheinbar einfache Übung, durch die er zum ununterbrochenen Gewahrsam der göttliche Gegenwart gelangte. In seinem Heimatland fast vergessen, führte die Universalität seiner Methode dazu, dass „Brother Laurence" auch unter Mitgliedern anderer Religionen Anhänger gefunden hat.

Notre sanctification dépend, non du changement de nos œuvres, mais de faire pour Dieu ce que nous faisons ordinairement pour nous-mêmes.

Unsere Heiligung hängt nicht davon ab, dass wir unsere Handlungen ändern, sondern davon, dass wir für Gott tun, was wir normalerweise für uns selbst tun. (EN44)

Il n’y a pas au monde de vie plus douce ni plus heureuse que la conversation continuelle avec Dieu. Ceux-là seul la peuvent comprendre, qui la pratiquent et la goûtent.

Es gibt auf der Welt kein süßeres und glücklicheres Leben als das Leben in ständiger Unterhaltung mit Gott. Nur diejenigen können es verstehen, die es praktizieren und schmecken. (L3)

Jugend

Der spätere Bruder Lorenz wurde 1614 als Nicolas Herman in dem kleinen Dorf Hériménil geboren, nahe Lunéville in Lothringen, was damals ein französichsprachiger Teil des hl. römischen Reichs deutscher Nation war. Ein Onkel von ihm war Karmelitermönch, er ist also wahrscheinlich in einer religiösen Atmosphäre aufgewachsen.

Mit 18 Jahren hatte er eine plötzliche spirituelle Erfahrung. Seinem Biograph berichtete er 40 Jahre später, dass er eines Wintertages, beim Betrachten eines entlaubten Baumes und beim Nachsinnen, dass die Blätter bald wieder erscheinen würden, und danach Blüten und Früchte, eine großartige Schau auf die Vorsehung und Macht Gottes erhalten habe, die seitdem nicht mehr aus seiner Seele verschwunden sei. Diese Schau hätte ihn völlig von der Welt gelöst und ihm eine derartige Liebe zu Gott gegeben, dass er nicht sagen könne, ob sie gewachsen sei in den über vierzig Jahren, seit er diese Gnade erhalten hatte.(EN1)

Krieg

Der dreißigjährige Krieg (1618-1648) weitete sich 1631 auf Lothringen aus, als das französische Heer einfiel um Lothringen zu annektieren. 1632, also mit etwa 18 Jahren, wurde Nicolas Soldat im Heer des Lothringischen Herzogs, der letztlich erfolglos gegen die Franzosen kämpfte. Die Franzosen waren verbündet mit schwedischen Truppen und protestantischen Deutschen unter Führung des Herzogs von Saxen-Weimar. Von diesen Deutschen wurde Nicolas einmal gefangen genommen und wegen angeblicher Spionage mit dem Tod bedroht. Seine ruhige Erklärung, er habe nichts Schlechtes getan und fürchte den Tod nicht, beeindruckte sie aber so sehr, dass er wieder frei gelassen wurde.

1635 wurde der 21-jährige Nicolas laut seinem Biograph beim Angriff der Schweden auf Rambervillers, einen Ort in den Nähe seines Geburtsorts, stark verwundet.(EN9,10)

Er genaß bei seinen Eltern, doch leider blieb ein Bein für den Rest seines Lebens gelähmt und bereitete ihm immer wieder Schwierigkeiten. (EN50)

Suchen des Weges

Bald danach eröffnete sich ihm die Gelegenheit zusammen mit einem Adeligen als religiöser Einsiedler zu leben. Diese Lebensform brachte ihm jedoch keinen richtigen Frieden. Nicolas kam mit dem eigenen unruhigen Geist nicht zurecht, mal war er froh, mal traurig, mal beunruhigt. Er zweifelte an der Richtigkeit seines Weges und sehnte sich nach einer Gemeinschaft und nach klaren Regeln. Schließlich verließ er das Einsiedlerdasein, ging nach Paris, und fand eine Anstellung als Lakai bei einem Adligen. Später sagte über seine Zeit als Lakai, dass er ein grober Tölpel war, der alles kaputt gemacht hätte. (EN2)

Er wird Karmeliter

1640 (26 Jahre alt) bat er um Aufnahme als Laienbruder bei den unbeschuhten Karmeliten in Paris — vielleicht angeregt durch den Onkel, der Karmeliter war. (Laienbrüder waren die Mönche, die für niedere manuelle Arbeiten zuständig waren, während zum Priester geweihte Mönche für die Liturgie zuständig waren.) Das Pariser Karmeliterkloster war 1611 an der Rue Vaugirard (heute 6. Arrondissement) errichet worden und wurde anschließend durch die Mutter Ludwigs XIII gefördert. 1620 wurde die St. Joseph geweihte Klosterkirche fertiggestellt, und im Lauf des Jahrhunderts entstanden weitere Gebäude und Erweiterungen. Teile des Komplexes bestehen heute noch und beherbergen gegenwärtig die katholische Universität Institut Catholique de Paris.

Nicolas erhielt oder wählte den Mönchsnamen Laurent de la Résurrection. Er hatte keine gute Meinung von sich selbst und erwartete, dass man ihm wegen seiner Tölpeleien und Fehler das Leben schwer machen würde und dass er immer Novize bleiben würde. Doch nach zwei Jahren wurde er wie üblich als Laienbruder (frère convers) eingesegnet (1642). Die erwarteten äußeren Strafen blieben ebenfalls aus, später sagte er, Gott hätte ihn getäuscht und ihm statt Strafe nur Wohltaten gegeben. (EN3)

Sein innerer Weg

Zu Beginn seines religiösen Lebens machte er sich folgende Gedanken zu eigen:

  • Gott braucht nichts.
  • Gott hat mich nur für sich geschaffen.
  • Ich werde alles für alles geben und so leben, als gäbe es nur Gott und mich.
  • Ich möchte nichts tun, was Gott misfällt, ich möchte, dass alles, was ich tue, Gott gefällt.
  • Darum werde ich alles, was ich zu tun habe, aus Liebe zu Gott machen.

Aus dem letzten Punkt resultierte seine Übung, all seine Tätigkeiten bewusst aus Liebe zu Gott zu verrichten. Es gab zu, dass ihm das anfangs nicht leicht fiel und er es oft vergaß. Diese Übung scheint er anfangs wie ein inneres Gespräch mit Gott durchgeführt zu haben. Im Lauf der Zeit wurde daraus eine zunehmend wortlose Hinwendung des Herzens. Doch trotz dieser Übung gab es ein großes Problem, und das war seine Überzeugung, dass er verdammt sei und nicht so war, wie Gott ihn wollte. Die ersten 10 Jahre im Kloster quälte ihn dieser Gedanke in mehreren Wellen furchtbar, manchmal glaubte er ihn besiegt zu haben, aber dann kam er doch wieder zu Vorschein.

Schließlich konnte er dieses Problem durch folgende inneren Beschlüsse lösen:

  • Er entschied sich, dass es ihm egal sei, ob er in die Hölle oder in den Himmel komme.
  • Er wollte sich nicht mehr mit seinem Leid beschäftigen, selbst wenn er es für alle Ewigkeit aushalten müsste. (EL26)

„Es kommt mir nicht mehr darauf an, was ich tue oder worunter ich leide, vorausgesetzt ich bleibe liebevoll seinem Willen verbunden, und das ist meine einzige Aufgabe." (EL26)

Es genügte ihm hinfort, alles aus Liebe zu Gott tun. Er dachte weder an das Paradies noch an die Hölle (L2, EN12) und er gab die Hoffnung auf, dass sich sein Leben oder sein Geisteszustand je bessern würde. Durch das Loslassen jeglicher Hoffnung fand er sich ganz im Hier und Jetzt. Sein Geisteszustand änderte sich radikal und ein ununterbrochener Friede breitete sich in ihm aus, der ihn in den 40 Jahren bis zu seinem Tod nicht mehr verließ. Es war, als wären plötzlich seine inneren Augen einer anderen Wirklichkeit geöffnet worden, und die materielle Welt verlor für ihn ihren Substanzcharakter:

„Die ganze Welt erscheint mir nicht mehr fähig, mir Gesellschaft zu leisten. Alles was ich mit den Augen des Körpers sehe, erscheint vor mir wie Gespenster oder Träume; mir geht es nur noch darum, was ich mit den Augen der Seele sehe  . . .  meine gewöhnlichste Beschäftigung ist es, in der Gegenwart Gottes zu bleiben mit der ganzen Demut eines nutzlosen aber trotzdem treuen Dieners.“ (EL28)

Seine äußeren Aufgaben

Nach dem Ende des Noviziats hatte man ihm die Aufgabe des Kochs des Klosters übertragen für die Beköstigung von teilweise täglich über 100 Personen. Diese Tätigkeit übte er 15 Jahre lang aus, obwohl er eigentlich gegen sie, wie er sagte, von Natur aus einen Widerwillen hatte. Vor und nach der Arbeit, als er allein in der Küche war, betete er folgendermaßen:

„Mein Gott, da du bei mir bist und ich meinen Geist auf deine Anordnung hin äußeren Dingen zuwenden muss, bitte ich dich um die Gnade, während dieser Aufgabe bei dir bleiben zu können und dir Gesellschaft zu leisten, und damit alles zum Besten verläuft, mein Herr, arbeite bitte mit mir zusammen, nimm meine Arbeit an und akzeptiere all meine Zuneigung.“

Während der Arbeit unterhielt er sich weiter vertrauensvoll mit Gott, bat ihm seine kleinen Dienste an und bat um seine Gunst.

Nach Erledigung einer Arbeit richtete er seine Aufmerksamkeit darauf, wie er die Arbeit ausgeführt hatte, und wenn er damit zufrieden war, bedankte er sich bei Gott, wenn er Fehler bemerkte, entschuldigte er sich bei Gott. Ohne durch Fehler entmutigt zu werden, richtete er anschließend seinen Geist wieder auf Gott, so als wäre er nie mit etwas anderem beschäftigt gewesen.(E20)

Wegen Hüftleidens (wohl aufgrund seines steifen Beins) wurde ihm 1657, als er 43 Jahre alt war, die eher sitzende Beschäftigung als Sandalenschuster fürs Kloster zugewiesen. Wahrscheinlich half er weiterhin in der Küche mit, wenn auch nicht als Hauptverantwortlicher. Außerdem blieb er zuständig für Einkauf und Beschaffung der Weine für die Klostergemeinschaft, was lange Bootsreisen in die Auvergne und Bourgogne erforderte, eine schwierige Aufgabe wegen seines steifen Beines. Er beklagte sich jedoch nie.

Bruder Lorenz scheint viel Kontakt zu anderen Menschen gehabt zu haben. Er wurde als sehr natürlich und freundlich beschreiben. Sein Verhalten zeigte keinerlei Eigenartigkeiten, er hatte sich die Einfachheit des gewöhnlichen Lebens bewahrt, und er machte nie eine melancholische oder asketische Miene, die andere auf Abstand hält. (E35)

Augenzeugenbericht

Joseph de Beaufort (M1-14) schreibt:

Ich beschreibe hier, was ich persönlich erlebt und gehört habe von Bruder Lorenz, dem unbeschuhten Karmeliter, der vor etwa zwei Jahren in einem Kloster in Paris starb. Die Erinnerung an ihn ist mir ein Segen.

Aufgrund der Notizen, die ich mir im Anschluss an unsere Gespräche machte, gebe ich Ihnen im Folgenden seine eigenen Worte wieder.

Bruder Lorenz war trotz seiner Tugend keinesfalls unnahbar. Sein offenes Wesen schuf Vertrauen und gab einem sofort das Gefühl, man könne ihm alles berichten und man habe in ihm einen Freund gefunden. Nachdem er einen etwas kennengelernt hatte, sprach er auch ganz unbekümmert und zeigte seine große Güte. Was er sagte, war einfach, zutreffend und sinnvoll. Durch sein rustikales Äußeres hindurch entdeckte man eine einzigartige Weisheit, eine Freiheit jenseits der üblichen Auffassungen armer Klosterbrüder und eine Verständnistiefe, die alle Erwartungen übertraf. Bei den Gesprächen während seiner Bettelgänge [Bettelgänge der Mönche waren eine Einkommensquelle des Klosters, Anm. d. Üb.] zeigte er einen selbständigen Geist, der die umfangreichsten Aufgaben bewältigen konnte und den man zu jedem Thema befragen konnte. Das war der äußere Eindruck, den man von Bruder Lorenz erhielt.

Bezüglich seiner innere Haltung sagte er mir, dass die Basis seiner Bekehrung die hohe Idee war, die er sich von der Kraft und Weisheit Gottes gemacht hatte. Er kultivierte diese Idee sorgfältig, indem er mit großer Treue entgegengesetzte Ideen verjagte. Der Glaube war das Licht, dessen er sich bediente. Er sagte mir mehrere Male, dass alles, was er von anderen gehört hatte und was er in Büchern gefunden habe ihm fade erschien im Vergleich zu dem, was ihm der Glaube offenbarte. „Wir suchen in der Vernunft und den Wissenschaften wie in einer schlechten Kopie das, was wir vernachlässigen im exzellenten Original nachzuschauen. Gott selbst hat sich auf den Grund unserer Seele gemalt und wir wollen ihn dort nicht sehen. Wir verlassen ihn für Oberflächlichkeiten und zieren uns, uns mit unserem König zu unterhalten, der ständig in uns gegenwärtig ist.“

Bruder Lorenz betrachtete die Gegenwart Gottes nicht nur im Grund seiner Seele, sondern er ließ seinen Geist bei allem was geschah und was er sah vom Geschöpf zum Schöpfer gehen. Einst betrachtete er im Winter einen kahlen Baum, was bewirkte, dass er plötzlich gedanklich bis zu Gott gelangte, und dass in ihm eine so sublime Erkenntnis erwachte, die nach vierzig Jahren noch genauso stark und lebendig in seiner Seele war, wie zu dem Zeitpunkt, als er sie erfuhr. Entsprechend nutze er alle Gelegenheiten und bediente sich der sichtbaren Dinge nur, um zum Unsichtbaren zu gelangen.

Bruder Lorenz kultivierte mit ganzer Hingabe in seinem Herzen die Gegenwart Gottes. Bei all seinen Handlungen, pflegte er eine ununterbrochene Verehrung. Liebe und Bitte um Hilfe zu Gott, und er bedankte sich, nachdem er diese Handlungen beendet hatte. Er bat um Vergebung für seine Nachlässigkeiten und gab diese Gott unumwunden zu. Weil seine Hingabe so mit seinen Tätigkeiten verbunden war, gingen ihm diese leichter von der Hand, und statt dass ihn das Gebet bei seiner Tätigkeit stören würde, half es ihm, die Tätigkeit besser auszuführen. Er gab zu, dass er zu Anfang Schwierigkeiten mit dieser Übung hatte und dass es häufig vorkam, dass er sie vergaß, aber nachdem er Gott demütig seine Fehler gebeichtet hatte, hatte er sich immer wieder der Übung zugewandt, ohne sich weitere Sorgen zu machen. Wenn andere Gedanken den Platz seines Gottes eingenommen hatten, hatte er diese einfach sanft zur Seite geschoben, um sich der Übung wieder zuzuwenden. Schließlich wurde seine Treue mit dem ununterbrochenen Bewusstsein der Gegenwart Gottes belohnt.

Seine vielfältigen Aufgaben wurden für ihn zu einer einzigen Sicht erleuchteter Liebe und ununterbrochener Freude. Er sagte, die Arbeitszeit sei für ihn keineswegs von der Gebetszeit verschieden. „Ich besitze Gott genauso ruhig in der Hektik meiner Küche, wo mich manchmal mehrere Personen gleichzeitig verschiedene Dinge fragen, als würde ich vor dem Altar knien. Mein Glaube wird manchmal sogar so leuchtend, dass ich denke, ihn verloren zu haben. Es scheint mir, als wäre ein Vorhang der Dunkelheit beiseite gezogen und der ewige wolkenlose Tag des Jenseits bereits angebrochen.“ Dies ist es, wohin unserer guten Bruder durch die Treue gelangte, mit der er ständig darauf achtete, mit Gott in Zwiesprache zu bleiben und alle anderen Gedanken zurückwies. Und das wurde ihm so zur Gewohnheit, dass er sagte, es sei ihm unmöglich sich davon zu lösen und sich etwas anderem zuzuwenden. Er sagte, dass diese Gegenwart Gottes eher durch das Herz und durch die Liebe aufrechtzuerhalten sei, als durch Verstand und Worte.

„Auf dem Weg zu Gott zählen Gedanken wenig, die Liebe ist alles. Und es ist nicht nötig, mit großartigen Aufgaben betraut zu sein. Ich wende mein kleines Omelette in der Pfanne aus Liebe zu Gott. Wenn das Omelette fertig ist, und ich nichts mehr zu tun habe, knie ich nieder und verehre meinen Gott, von dem ich die Gnade erhalten habe, das Omelette zu machen, und danach erhebe ich mich wieder, zufriedener als ein König. Wenn ich nichts anderes tun kann, ist es genug für mich, aus Liebe zu Gott einen Strohhalm vom Boden aufzuheben. Man sucht Methoden, um Gott lieben zu lernen und macht wer-weiß-was-für Übungen. Man gibt sich mit verschiedensten Techniken viel Mühe. Doch ist es nicht viel schneller und direkter, einfach alles aus Liebe zu Gott zu tun? Ihm zu dienen in allen Arbeiten? Sich seiner Gegenwart in uns zu vergewissern durch die Verbindung unseres Herzens mit ihm? Dazu braucht man keine Finessen. Man muss sich nur einfachen Herzens ihm zuwenden.“

„Seit meinem Eintritt ins religiöse Leben denke ich nicht mehr an Tugendhaftigkeit noch an mein Seelenheil. Nachdem ich mich ganz Gott ergeben habe und aus Liebe zu ihm allem entsagt habe was nicht er ist, glaube ich, dass ich für den Rest meiner Tage nichts anderes mehr zu tun habe, als so zu leben, als gäbe es nur Gott und mich auf der Welt.“

Auf diese Weise begann Bruder Lorenz mit dem, was das Vollkommenste ist: allem für Gott zu entsagen und alles aus Liebe für ihn zu tun. Er hatte sich völlig selbst vergessen. Er dachte weder an das Paradies noch an die Hölle, weder an seine früheren Sünden, noch an momentane Fehler, nachdem er Gott um Verzeihung gebeten hatte. Nach der inneren Beichte kehrte er gedanklich nicht mehr zu dem Thema zurück. Hatte er Gott seine Fehler gestanden und ihm gesagt, dass er aus sich heraus die betreffende Arbeit nicht besser machen könne, war er im völligen Frieden. Und danach übergab er sich Gott, wie er sagte, zum Leben und zum Sterben, für die Zeit und für die Ewigkeit.

„Wir sind einzig für Gott geschaffen,“ sagte er, „es wäre daher nicht schlecht, wenn wir uns etwas weniger mit uns selbst beschäftigten und mehr mit ihm. In ihm werden wir besser verstehen, was uns fehlt, als wenn wir mit all unseren Überlegungen in uns selbst blieben. Und vielleicht ist es nur ein Rest Eigenliebe, die uns in Form einer Idee der eigenen Vorzüglichkeit an uns selbst haften lässt und uns hindert zu Gott zu gelangen.“

Bruder Lorenz berichtete mir von seiner Entscheidung, dass er nicht mehr über das nachdenken wollte, was mit ihm in Zukunft geschehen werde, noch sich mit seinen Leiden beschäftigen wollte, sondern dass er stattdessen sich mit dem Gedanken trösten wollte: „Geschehe was wolle, ich werde zumindest all meine Handlungen bis zum Rest meines Lebens aus Liebe zu Gott tun.“

Auf diese Art vergaß er sich selbst und war bereit sich in Gott zu verlieren, den er auf diese Art fand. Die Liebe zum göttlichen Willen hatte in ihm den Platz eingenommen, den man normalerweise dem Eigenwillen gibt. Und in allem was ihm zustieß, sah er nichts anderes, als die Anordnungen Gottes, der ihn in einem ununterbrochenen Frieden bewahrte.

Lebensende

Vier oder fünf Monate vor seinem Lebensende teilte Bruder Lorenz verschiedenen Freunden mit, dass er Ende Februar 1691 sterben würde. Tatsächlich bekam dann eine sehr schmerzhafte Rippenfellentzündung, an der er nach vier Tagen starb. Da sein Gesicht unter den Schmerzen trotzdem freudig blieb, fragte ihn ein Mönchsbruder, ob er denn nicht leide. Er antwortete: „Entschuldige, ich leide, diese Stelle, die ich an der Seite habe, schmerzt stark, aber mein Geist ist zufrieden.“ — Der andere: „Angenommen, Gott will, dass du zehn Jahre lang so leidest, würdest du dann immer noch zufrieden sein?“ — Bruder Lorenz: „Ich wäre es, nicht nur für diese Jahre, sondern selbst wenn Gott wollte, dass ich bis zum jüngsten Tage so leiden müsste, würde ich gerne zustimmen in der Hoffnung, dass er mir die Gnade gewähren würde, immer zufrieden zu sein.“ (E 55)

Ein Mönch drängte ihn, bei Gott für ihn um den rechten Geist des Gebets zu bitten, worauf Bruder Lorenz antwortete: „Du musst dafür deine eigene Kooperation einbringen und von deiner Seite aus arbeiten, um dich dieser Gabe würdig zu erweisen.“ Das waren seine letzten Worte. Am nächsten Morgen starb er ruhig entspannt und in vollem Bewusstsein. Er war 76 Jahre alt geworden.(E 59,60)

Erste Bücher über Bruder Lorenz

1692 erschien in Paris anonym das Buch (188 Seiten) „Spirituelle Richtlinien zum Nutzen frommer Seelen zur Erlangung der Gegenwart Gottes. Gesammelt nach einigen Manuskripten des Bruder Lorenz von der Auferstehung, unbeschuhter Kameliter. Mit einem Abriss seines Lebens nebst einigen seiner Briefe.“

1694 erschien ein zweiter anonymer Band (92 Seiten) „Gebräuche und Gespräche des Bruder Lorenz von der Auferstehung, unbeschuhter Karmeliter. Mit der Übung der Gegenwart Gottes, aus seinen Briefen zusammengefasst.“

Ende des 17. Jahrhunderts kam es in Frankreich zu einem politisch aufgeladenen Streit über den Quietismus. Nach Auffassung der Quietisten waren nämlich äußerliche religiöse Praktiken für die Erlangung der Schau Gottes bedeutungslos, die Voraussetzung dafür sei nur, dass der Mensch sein Ich aufgebe. Diese Anschauung wurde unter den Päpsten Innozenz XI 1687 und Innozenz XII 1699 als Irrlehre verworfen, was in Frankreich zu einer staatlichen Verfolgung jeglichen mystischen Gedankenguts führte. Daher konnte man die Bücher über Bruder Lorenz dort nicht mehr verlegen. Die zweite Auflage erschien deshalb 1699 in den Niederlanden. In der ebenfalls dort erschienenen dritten Auflage 1710, wurde die Identität des Autors preisgegeben: es war Joseph de Beaufort, Generalvikar des Bischofs von Châlons-sur-Marne [180 km östl. v. Paris], der Bruder Lorenz 35 Jahre lang gekannt und ihn regelmäßig besucht hatte.

Während Bruder Lorenz in Frankreich in Vergessenheit geriet, wurde seine Botschaft durch Übersetzungen in englischsprachigen Ländern und dort vor allem unter Protestanten bekannt. Auch in Deutschland wurde sie besonders von einen Protestanten verbreitet, dem reformierten Mystiker Gerhard Tersteegen.

Quelle

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Zum Anlass der 300sten Wiederkehr des Todes­tages 1991 von Bruder Lorenz gab der belgische Kameliter Conrad de Meester die Originalquellen neu heraus.

  • Frère Laurent de la Résurrection – Nicolas Herman: Écrits et entretiens sur la pratique de la présence de Dieu, erschienen bei den Éditions du Cerf 1996, Paris.
  • Die Quellen im Einzelnen:

    • Erstes Buch (1692):
      • MS=Maximes spirituelles (Spirituelle Leitsätze)
      • EL=Éloge („Lobrede“, Lebensbeschreibung von Bruder Lorenz)
      • L=Lettres (Briefe)
    • Zweites Buch (1694):
      • M=Moeurs („Gewohnheiten“, Beschreibung der Persönlichkeit des Bruders)
      • EN=Entretiens (Gespräche)

    Zitierweise: Abkürzung der Quelle gefolgt von der Abschnittsnummer

Nous sommes faits pour Dieu seul: Wir sind einzig für Gott gemacht — Bruder Lorenz