Sanskrit, wörtlich: „Sehne eines Bogens“ und „Eigenschaft“, etwa im Sinne von „roter Faden“. Die Idee der drei Gunas als grundlegende Motivationselemente des Menschen wird bereits in der Bhagavad-Gita beschrieben und hat sich in der spirituellen Psychologie Indiens über die Jahrtausende bewährt.
Swami Someswarananda, Leiter des Vivekananda Centre for Indian Management hat aus diesem System Richtlinien für Management und Verwaltung abgeleitet. Die unten angeführte Tabelle stützt sich auf seine Arbeit.
Nach dem vedischen Zeit, die mit der Abfassung der Upanishaden ausklingt, beginnt in Indien im ersten vorchristlichen Jahrtausend ein Zeitalter, in dem verschiedene Philosophenschulen populär werden. Eine dieser Schulen heißt Sâmkhya, wörtlich: das, was sich auf Überlegung, Berechnung, Aufzählung bezieht. Die Weltanschauung des Sâmkhya ist von radikaler Nüchternheit und verzichtet auf Vorstellungen von Gott und Schöpfer.
Nach Sâmkhya besteht die Welt aus einer Vermischnung von Materie (prakriti) und reinem Bewusstsein (purusha). Die Materie selbst besteht aus drei Arten von Elementarteilchen, den Gunas. Bevor die Schöpfung beginnt, sind diese Teilchen völlig gleichmäßig verteilt. Sobald diese Gleichmäßigkeit gestört wird, beginnen sich die Teilchen aufgrund einer innewohnenden Dynamik miteinander zu verbinden. Diese Verbindungen werden immer komplexer, und bilden schließlich das ganze Weltall. Irgendwann zerfallen diese Verbindungen wieder, wodurch sich das Weltall auflöst. Zum Schluss sind die Gunas wieder gleichmäßig verteilt. Nach einer bestimmten Zeit wird diese Gleichmäßigkeit wieder gestört, und ein neuer Schöpfungszyklus beginnt.
Die Idee der drei Gunas hat sich als sehr praktisch erwiesen bei der Beschreibung von Hindernissen auf dem spirituellen Weg. Dabei geht man davon aus, dass in der menschlichen Psyche immer gerade eines der drei Gunas vorherrscht — und meistens wird der Charakter eines Menschen durch ein oder zwei Gunas bestimmt. Das Ziel des spirituellen Weges ist es, nicht mehr unter der Herrschaft der Gunas zu sein.
Die drei Gunas sind:
Beispiel: In einem Geschäft gibt es drei Verkäufer, Tamas, Rajas und Sattva. Ein Kunde kommt: Tamas preist ihm einen minderwertigen Ladenhüter an und macht ihm Angst davor, ein anderes Produkt zu kaufen. Rajas redet auf den Kunden ein, zeigt ihm endlos viele Produkte und glänzt mit seinem Wissen. Sattva hört dem Kunden zu und weist leise auf ein besseres Angebot eines Mitbewerbers hin.
Tamas »Trägheit« |
Rajas »Energie« |
Sattva »Klarheit« |
|
Interesse bei Handlungen | am unmittelbaren Resultat | am Erreichen eines selbstgesteckten Ziels | an kreativer Freude während des Handelns |
typische Sichtweise | nur das unmittelbar vor einem Liegende sehend | zielorientiert, planend | die ganze Gemeinschaft einbeziehend |
angestrebte Wirkung in religiösen Praktiken | rohe Kraft | Inszenierung, Effekt, Show | Demut |
Quelle von Freude | Sinnesgenüsse, körperliche Freuden | intellektueller Genuss, Kultur, Erreichen von persönlichen Zielen | Überschreiten von Egogrenzen |
Bedürfnisse | körperliche Bedürfnisse | Egobedürfnisse, Anerkennung | Erkenntniserweiterung |
Umgang mit Konflikten | Angst, Verdrängung, Wut, Jähzorn; versucht durch Zerstörung/Gewaltanwendung zu gewinnen | Durchsetzungswillen; versucht durch selbstsichere Aktivität zu gewinnen | Mitgefühl, liebevolle Sympathie mit dem Konfliktpartner; versucht durch Liebe zu gewinnen |
Beziehungen | Möchte geliebt werden. Fragt nicht nach Nutzen für den Partner | Geben und Nehmen; möchte, dass der Partner ebensoviel von der Beziehung profitiert, wie er selbst | Denkt nicht an eigenen Profit, denkt an den Vorteil des Partners |
Arbeitstätigkeit | findet, dass er/sie bereits genug gearbeitet hat | überschwenglich, Energie verschwendend | gerade passend, erreicht selbst ein schwieriges Ziel scheinbar mit Leichtigkeit |
Arbeitsmotivation | arbeitet, weil äußerer Druck vorhanden ist | arbeitet, um persönliche Genugtuung zu erhalten | arbeitet um der Arbeit willen |
langfristige Wirkung | auf niedrigeres Niveau herabziehend, zerstörerisch | fesselnd, man bleibt auf gleichem Niveau trotz Anstrengung | befreiend, verbessernd |
weitere typische Wirkungen | Stolz, Trotz, Widerstand, Trägheit, Nachlässigkeit, Schlaf, Faulheit | Hin und Her, Leidenschaft, Unruhe, chic bei Kleidung und Wohnung | Güte, Friedfertigkeit, Ruhe, Selbstlosigkeit, Einklang, Erkenntnis |
(Aus Ms Tagebuch, nach Nikhilanandas engl. Ausgabe)
— 22.4.1883 —
Durch die Faszination für Gottes Mâyâ vergisst der Mensch seine wahre Natur. Er vergisst, dass er der Erbe aller unendlichen Herrlichkeiten seines Vaters ist. Diese göttliche Mâyâ besteht aus den drei Gunas. Und alle drei sind Räuber; denn sie rauben dem Menschen alle seine Schätze und lassen ihn seine wahre Natur vergessen. Die drei Gunas sind Sattva, Rajas und Tamas. Von diesen zeigt nur Sattva den Weg zu Gott. Aber selbst Sattva kann einen nicht zu Gott bringen.
— 21.7.1883 —
Dazu gibt es eine Geschichte: Ein Mann ging durch einen Wald, als drei Räuber über ihn herfielen und ihn ausraubten. Einer der Räuber sagte: „Wozu sollen wir ihn am Leben lassen?“ und zog sein Schwert. Der zweite Räuber unterbrach ihn: „Ach was, wozu ihn töten. Wir fesseln ihn und lassen ihn hier.“ Das taten die Räuber dann auch und verschwanden. Nach einer Weile kam der dritte Räuber zurück und sagte dem Mann: „Es tut mir leid. Sind Sie verletzt? Ich werde Sie befreien.“ Nachdem er ihn losgebunden hatte, sagte er: „Folgen Sie mir. Ich zeige Ihnen, wo die Straße ist.“ Nach einem langen Weg erreichten sie die Straße. Der Räuber sagte: „Folgen Sie dieser Straße. Dort hinten ist Ihr Haus.“ Darauf antwortete der Mann: „Sie sind so gut zu mir gewesen. Kommen Sie doch mit zu mir nach Hause.“ — „O nein“, antwortete der Räuber, „das geht nicht. Die Polizei wird mich festnehmen.“
Die Welt ist der Wald. Die Räuber, die sich da herumtreiben, sind Sattva, Rajas und Tamas. Sie rauben einem das Wissen der Wahrheit. Tamas will einen zerstören, Rajas bindet einen an die Welt, aber Sattva befreit einen aus den Klauen von Rajas und Tamas. Unter dem Schutz von Sattva wird man von Wut, Leidenschaft und anderen ungünstigen Tamaseffekten befreit. Zusätzlich löst Sattva weltliche Fesseln. Aber Sattva ist auch ein Räuber. Es kann einem nicht die letzte Erkenntnis der Wahrheit geben, obwohl es den Weg zeigt, der zum Höchsten führt. Sattva bringt einen auf den Weg und sagt: „Schau, dort hinten ist dein Zuhause.“ Sogar Sattva ist weit weg von der Erkenntnis Brahmans.
— 22.4.1883 —
Nur Sattva zeigt den Weg zu Gott. Es erzeugt Tugenden wie Mitgefühl, Rechtschaffenheit, Hingabe. Sattva ist wie die letzte Stufe einer Treppe zur Dachterasse. Danach kommt die Dachterasse. Das höchste Brahman ist das wahre Zuhause des Menschen. Aber man kann es nicht erlangen ohne die drei Gunas zu überwinden.
— 25.5.1884 —
Die drei Gunas haben den Menschen unter ihrer Kontrolle. Sie sind wie drei Brüder. So lange Sattva da ist, ruft es Rajas um Hilfe, und Rajas bekommt Hilfe von Tamas. Die drei sind wie Räuber. Tamas zerstört und Rajas bindet. Sattva löst zwar die Fesseln, kann einen aber nicht zu Gott bringen.
— 28.10.1882 —
Wisst ihr, wie ein sattvischer weltlicher Mensch ist? Vielleicht ist sein Haus hier und da reparaturbedürftig. Das ist ihm nicht so wichtig. Die offene Halle vor dem Haustempel ist voller Taubendreck, der Garten ist vermoost, er widmet diesen Dingen keine Aufmerksamkeit. Die Möbel sind ältlich, er kommt nicht auf die Idee, sie zu polieren, damit sie wieder frisch aussehen. Kleidung ist ihm egal, da ist er anspruchslos. Doch der Mensch selbst ist sehr freundlich, sanft, ruhig und bescheiden, und er tut keinem etwas zuleide.
Dann gibt es weltliche Leute mit Rajas. So jemand hat eine Taschenuhr mit einer Kette und zwei oder drei Ringe an den Fingern. Die Möblierung seines Hauses ist tip top. An den Wänden hängen Bilder der englischen Königin, des Prinzen von Wales und anderer Prominenter. Das Haus ist frisch gekalkt und makellos sauber. Seine Garderobe ist mit einer großen Auswahl an Kleidung ausgestattet. Die Diener tragen Livree-Uniform, usw.
Die Charakterzüge eines weltlichen Menschen mit Tamas sind Schlaf, Sinnesgier, Wut, Egozentrik und dergleichen.
— 28.10.1882 —
Tamas kann auch zum Guten von anderen verwand werden. Es gibt drei Arten von Ärzten: gute, mäßig gute und weniger gute. Der Arzt, der den Patienten untersucht und ihm sagt, „Diese Medikamente sind regelmäßig einzunehmen!“, gehört zu den weniger guten. Er kümmert sich nicht darum, ob der Patient die Medikamente einnimmt oder nicht.
Der mäßig gute Arzt kümmert sich darum. Unwillige Patienten versucht er auf verschiedene Weise zu überzeugen. Er sagt freundlich: „Mein lieber Freund, wie können Sie gesund werden, wenn Sie nicht die Medizin einnehmen? Nehmen Sie sie ein, ich habe sie eigenhändig für Sie zusammengemischt.“
Der Arzt aber, der einen immer noch unwilligen Patienten zum Einnehmen der Medizin zwingt und soweit geht, dass er sich auf die Brust des Patienten kniet und dem Patienten die Medizin einflößt, ist der beste Arzt. Das ist die Manifestation des ärztlichen Tamas. Es verletzt den Patienten nicht, im Gegenteil, es hilft ihm. Wie bei den Ärzten gibt es auch bei den Gurus drei Arten. Der weniger gute Guru gibt dem Schüler Anweisungen, ohne sich später nach Fortschritten zu erkundigen. Der mäßig gute Guru macht wiederholte Anstrengungen, um dem Schüler die Anweisungen klar zu machen. Er bitten ihn, die Anweisungen zu beherzigen, und er zeigt ihm seine Liebe auf mancherlei Art. Aber es gibt eine Sorte von Gurus, die nicht zögern, Zwangsmethoden anzuwenden, wenn ein Schüler hartnäckig unverständig bleibt. Diese Gurus nenne ich die besten.
— 30.6.1884 —
Die Geisteshaltung eines Helden ist Sattva mit Tamas. Das ist notwendig. Man sollte nicht stumm bleiben in Gegenwart von Unrecht und Unwahrheit.
— 30.6.1884 —
Man braucht solchen Mumm. Dass nennt man den Einfluss von Tamas auf Sattva. Muss man etwa alles akzeptieren, was ein anderer sagt?
— 28.10.1882 —
So wie weltliche Leute durch Sattva, Rajas oder Tamas bestimmt werden, so wird auch Gotteshingabe durch die drei Gunas bestimmt:
Ein Verehrer mit sattvischer Hingabe meditiert über Gott im Geheimen — vielleicht in seinem Moskito-Netz. Die anderen denken, er schlafe. Da er spät aufsteht, denken sie, er habe vielleicht nachts nicht gut geschlafen. Seine Liebe zum Körper geht nur so weit, dass er seinen Hunger stillt, und das auch nur durch Reis und einfaches Gemüse. Es gibt kein sorgfältiges Arrangement bezüglich seiner Mahlzeiten, keinen Luxus in Kleidung, kein Zurschaustellen bei den Möbeln. Außerdem schmeichelt so ein Verehrer niemand wegen Geld.
Ein Strebender mit rajasischer Hingabe malt sich ein spirituelles Zeichen auf die Stirn und trägt um seinen Hals einen Rudrâksha-Rosenkranz, der hier und da eine Goldperle enthält (Alle lachen). Während der Andacht ist er in einen seidenen Umhang eingehüllt.
Ein Mensch mit tamasischer Hingabe hat brennenden Glauben. So ein Verehrer entreißt Gott regelrecht den Segen, etwa so wie ein Räuber über jemanden herfällt und dessen Geld plündert. „Fesselt! Schlagt! Tötet!“, so geht er los in der Art der Straßenräuber.
Man muss die feste Einstellung annehmen: „Was!, ich habe Mutters Name wiederholt — wie kann ich da noch ein Sünder sein? Ich bin Ihr Kind. Ich bin Erbe Ihrer Macht und Glorie!“
Wenn man seinem Tamas einen spirituellen Dreh geben kann, dann kann man damit Gott verwirklichen. Zwinge deine Forderung Gott auf! Gott ist kein Fremder, Gott ist wirklich dein eigen.
— 28.11.1883 —
Es gibt noch eine andere Klasse von Gottesverehrern, nämlich diejenigen, die jenseits der Gunas sind. Sie haben die Natur eines Kindes. Ihre Verehrung besteht daraus, Gottes Namen zu singen — nur seinen Namen.
— 14.12.1882 —
Wer Gott erreicht hat, wird wie ein Kind. Ein Kind ist keinem der drei Gunas verhaftet, weder Sattva, Rajas noch Tamas. Es löst sich schnell von einer Sache, und es verbindet sich schnell mit einer Sache. Man kann ihm ein teures Kleidungsstück gegen ein einfaches Spielzeug abschwatzen, auch wenn es zuerst entschlossen sagt, „Nein, ich geb’s nicht her. Mein Papi hat es mir gekauft.“ Und alle Menschen sind gleich für das Kind, es hat kein Gefühl von hochstehend und niedrig, es macht keine Kastenunterschiede. Wenn seine Mutter ihm sagt, ein bestimmter Mann sei sein großer Bruder, dann wird es mit ihm von einem Teller essen, auch wenn der Mann zur Schmiedekaste gehört. Das Kind weiß nicht wie man hasst, es weiß nichts von heilig und unheilig.
— 22.10.1885 —
Nach der Gottesverwirklichung verhält man sich wie ein fünfjähriges Kind. Das Ego kann man dann das Kinder-Ego oder das reife Ego nennen. Ein Kind steht nicht unter der Herrschaft der Gunas. Beobachte, und du wirst feststellen, dass es kein Sklave von Tamas ist: Einen Moment streitet oder haut es sich mit seinem Spielkamerad, doch im nächsten Moment umarmt es ihn, zeigt ihm seine Zuneigung und spielt wieder mit ihm. Es ist auch kein Sklave von Rajas: Den einen Moment baut es ein Spielhaus und überlegt sich alles mögliche, um es zu verschönern. Den nächsten Moment lässt es alles zurück und rennt zu seiner Mutter. Ein andermal hat es ein teures Kleidungsstück an. Nach ein paar Momenten liegt das gute Stück vielleicht auf dem Boden und das Kind hat es vergessen … Ein fünfjähriges Kind ist selbst Sattva nicht verhaftet: Heute liebt es seine Spielkameraden aus der Nachbarschaft über alles und ist unzufrieden, wenn es einen Augenblick ohne sie ist. Doch wenn morgen seine Familie umzieht, findet es neue Spielkameraden. Seine ganze Liebe gilt jetzt seinen neuen Freunden, und es vergisst fast die alten. … Ein Kind ist jenseits der Ideen von Reinheit und Unreinheit. Es ist nicht gebunden durch gesellschaftliche Umgangsformen. Es zögert nicht, nackt vor andere zu kommen.
Es gibt ein »Ego des Alters«. Ein alter Mensch hat viele Fesseln: Herkunft, Stolz, Scham, Hass und Furcht. Zusätzlich wird er gebunden durch Ideen über weltliche Cleverness, Berechnung und Betrug. Wenn er über jemanden verärgert ist, kann er das nicht einfach abschütteln. Vielleicht bewahrt er das Gefühl so lange er lebt.
— 25.2.1885 —
Der Gottergebene akzeptiert die drei Gunas. Er sieht, das es nur Gott ist, der zu den Naturgesetzen, dem Universum und allen Lebewesen geworden ist.
Wer Gott nicht in sich selbst findet, wird ihn niemals außerhalb von sich selbst finden. Aber der, der ihn im Tempel der eigenen Seele sieht, sieht ihn auch im Tempel, welcher dieses Universum ist.