Nebenstehende Darstellung basiert auf Schlussfolgerungen des Historikers Swami Prabhananda. Den Forschungsergebnissen über Williams liegen Augenzeugenberichte der Swamis Saradananda und Akhandananda und von Ram Chandra Datta zugrunde. (siehe: First Meetings with Sri Ramakrishna. Sri Ramakrishna Math, Mylapore, Madras 1987)
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Williams — sein Vorname ist uns unbekannt — war ein indischer protestantischer Christ und lebte im 19. Jahrhundert in Nordwest-Indien. Es wird vermutet, dass er Lehrer war und ein sehr guter Bibelkenner. Obwohl er aufrichtig religiös war, verachtete er als typischer Protestant die Götterbildnisse der Hindus. Aus Berichten verschiedener Augenzeugen kann das folgende Ereignis rekonstruiert werden.
Williams kam in Kontakt mit Kedarnâth Chatterjee, als letzterer auf einer Vortragsreise in Nordwest-Indien war. Kedarnâth war Prediger der in Bengalen neu entstandenen Brahmo-Religion, einem Versuch indischer Intellektueller, westliches und indisches Gedankengut zu verbinden. Die Brahmos lehnten die Bilderverehrung des Hinduismus entschieden ab, was sie wohl für Williams interessant machte. Die Brahmo-Bewegung war im 19. Jahrhundert in westlich gebildeten indischen Kreisen aktiv und anerkannt. Inzwischen ist sie stark zurückgegangen, besteht aber noch heute. Es waren diese Brahmos, die Srî Râmakrishna für die Öffentlichkeit entdeckten. 1875 erschien in ihrer Zeitschrift The Indian Mirror ein erster Artikel über ihn, auf den weitere folgten. Kedarnâth selbst hatte persönlichen Kontakt mit Râmakrishna ab 1879.
Williams erfuhr, dass sich Kedarnâths religiöse Einstellung und Praxis entscheidend geändert hatten, nachdem dieser mit einem gewissen heiligen Mann in Kontakt gekommen war, welcher im Tempel von Dakshineswar lebte. Williams wollte darüber mehr wissen. Die Artikel, die er dann in den Zeitschriften des Brahmo-Samâj über den „Paramahamsa von Dakshineswar“ las, vergrößerten sein Interesse immer stärker. Schließlich entschloss er sich, die weite Reise nach Kalkutta zu machen, nur um diesen Menschen persönlich kennen zu lernen. Einige Tage vor Karfreitag 1881 erreichte er Kalkutta. Williams entschied sich, am geheiligtem Tag des Karfreitags den Paramahamsa von Dakshineswar zu besuchen. In Begleitung von Kedarnâth kam er gegen ein Uhr mittags im Tempelgelände an und die beiden gingen sofort zu Râmakrishnas Zimmer. Williams trug europäische Kleidung, er war mittleren Alters und von stämmiger Gestalt. Nachdem er Schuhe und Hut abgelegt hatte, stand er mit gefalteten Händen am Eingang von Râmakrishnas Zimmer. Da es ein Feiertag war, waren mehrere Besucher im Zimmer, und Râmakrishna sprach mit ihnen über Gotteserfahrung. Einer der Anwesenden sagte dann: „Jener Sahib, von dem Kedar Babu gesprochen hat, scheint gekommen zu sein.“ Diese Worte bewirkten eine plötzliche Veränderung bei Râmakrishna. Eine spirituelle Stimmung erfasste ihn. Als hätte er die Kontrolle über sich verloren, stand er rasch auf und ging zum Eingang, um den Neuankömmling zu empfangen. Williams kniete plötzlich mit gefalteten Händen vor ihm nieder. Tränen begannen seine Wangen herunter zu rollen. Dann küsste er Râmakrishnas Füße. Râmakrishna hatte unterdessen sein normales Bewusstsein völlig verloren und stand entrückt in Samâdhi, das Gesicht voll intensiver Freude. Die Anwesenden waren überrascht über das, was zwischen den beiden vor sich ging.
Nach einer Weile kam Râmakrishna zum Tagesbewusstsein zurück, nahm Williams bei der Hand und führte ihn ins Zimmer. Er legte ein Sitzmatte für Williams auf den Boden, bat ihn, sich zu setzen und setzte sich selbst auf eine Sitzmatte daneben. Dann zeigte er auf den kleinen Zwischenraum zwischen den beiden Matten und sagte: „Sehen Sie, ich lasse noch diesen kleinen Spalt, etwa einen Finger breit.“ – Williams antwortete: „Zwischen den Matten gibt es vielleicht einen Spalt, aber mein Herz ist bereits mit Ihrem verbunden.“
Williams war anscheinend vor allem gekommen, um zu erfahren, inwieweit für Menschen eine direkte Gottesvision möglich ist. Während dieses ersten Treffens jedoch hatte er etwas erlebt, was er selbst am wenigsten erwartet hatte. Später berichtete er, er sei mit der unmittelbaren Vision Christi in der Person Râmakrishnas gesegnet gewesen. Er hatte völlig vergessen, in Gegenwart eines Hindus zu sein. Die ganze Zeit saß er ehrerbietig da mit gefalteten Händen. Wie es Râmakrishnas Gewohnheit war, wird er Williams mit seinem Gespräch erfreut und inspiriert haben. Von dem, was die beiden miteinander redeten, sind zwei Punkte überliefert. Plötzlich soll Râmakrishna Williams gefragt haben: „Nun, was ist Ihre Idee über mich? Wer bin ich?“ Das war eine ungewöhnliche Frage. Râmakrishna fragte Neuankömmlinge so etwas sonst nicht. Williams antwortete ohne zu zögern: „Jesus selbst, Gottes Sohn, die Verkörperung des ewigen Bewusstseins.“
Gegen Ende des Besuchs sagte Râmakrishna liebevoll zu Williams: „Mache dir keine Sorgen; aber besuche diesen Ort bitte noch zweimal.“ Mit diesen Ort meinte Râmakrishna sich selbst; die Worte ich, mich und mein empfand er generell als unpassend. Vielleicht hat Williams Râmakrishna sogar noch öfter als nur zweimal besucht. Sein spirituelles Leben zeigte jedenfalls eine deutliche Entwicklung. Einige Jahre später sah Râmchandra Datta, dass Williams ein Bildnis der Göttin Siddhesvarî grüßte. Erstaunt fragte er ihn nach dem Grund, und Williams antwortete, die Stimme voller Ergriffenheit: „Ich sah Christus in dem Bildnis. Wie Sie sehen, habe ich nicht mehr meine alten Ansichten. Râmakrishna hat meine Vorurteile zerstört und mir eine neue Vision gegeben. Durch seine Gnade verstehe ich jetzt Dinge, die mir früher entgingen. Jetzt denke ich manchmal, wie dumm es doch von uns engstirnigen Christen ist, diese Götterbildnisse zu hassen. Aber es ist mein großes Glück, dass ich jetzt mit einem neuen Leben gesegnet bin.“ Weiter ist von Williams nur bekannt, dass er schließlich den Rest seines Lebens spirituellen Übungen in einem Ort im Himâlaya widmete.
Suchst du Gott? Dann suche ihn im Menschen. Seine Göttlichkeit manifestiert sich im Menschen mehr als in anderen Dingen. Suche nach einem Menschen, dessen Herz von der Liebe zu Gott überfließt, einem, der in Gott lebt, sich bewegt und dessen Wesen ganz in Gott aufgeht — einen Menschen, berauscht von Gottes Liebe. In so einem Menschen manifestiert sich Gott.