Der Vedanta wird als philosophischer Kern des Hinduismus angesehen. Man kann Vedanta-Anhänger sein, ohne Hindu zu sein, und Hindu, ohne Vedanta-Anhänger zu sein.
Die Veden sind die älteste religiöse Überlieferung Indiens. Nach Auffassung der Hindus haben die Veden keinen menschlichen Autor, sie sind ewig und nur von den alten Sehern geschaut worden. Westliche Indologen datieren die älteren Teile der Veden auf das zweite vorchristliche Jahrtausend, viele Inder sehen sie als bedeutend älter an. Diese mündlich weitergegebenen Überlieferungen wurden später in vier Gruppen aufgeteilt, den vier Veden. Jeder Veda (wörtlich Wissen) besteht wiederum aus vier Teilen:
Die Texte wurden in Brahmanenfamilien peinlich genau überliefert. Es gibt trotzdem von manchen Teilen verschiedene Überlieferungen, manche Teile sind verloren gegangen und bei anderen ist die Zuordnung nicht klar.
In spiritueller Hinsicht sind die Upanishaden am interessantesten. Die Tradition besagt, dass es 108 gibt. Shankara hat zu 10 Upanishaden Kommentare geschrieben und diese werden allgemein als die wichtigsten angesehen.
In den Upanishaden geht es vor allem um die Erfahrung der Einheit zwischen Brahman, dem Urgrund des Universums, und Âtman, dem wahren Selbst des Menschen. Das wird in den vier so genannten Großen Aussagen unterstrichen:
Im Anschluss an die vedische Zeit entstanden in Indien verschiedene Philosophenschulen. Einige davon akzeptierten die Veden als Autorität, diese Schulen werden als orthodox bezeichnet. Andere Schulen lehnten die Veden ab. Dies sind der Buddhismus, die Jaina-Religion und die Charvakas (Materialisten).
Von den orthodoxen Schulen sind in spiritueller Hinsicht interessant:
Vedanta unterschied sich von den anderen Philosophenschulen dadurch, dass tatsächlich Bezug auf die Veden genommen wurde und damit an die Tradition angeknüpft wurde. Dadurch wurde Vedanta zur grundlegenden Philosophie des Hinduismus, statt eine Schule neben anderen zu sein. Neben den Upanischaden und den Vedanta-Sutras wurde von den Vedanta-Lehrern auch die Bhagavad-Gita als Autorität angesehen. Diese drei heißen Prasthâna-Trayam, Quelltext-Dreiheit.
Die Bhagavad-Gita ist ein aus 700 Doppelversen bestehendes Gedicht, welches ein Gespräch zwischen Sri Krishna und Arjuna kurz vor dem Beginn einer Schlacht wiedergibt. In der Bhagavad-Gita werden sich viele verschiedene spirituelle Themen angesprochen, wie das Prinzip der Wiedergeburt (der Körper ist wie ein Kleidungsstück, das gewechselt wird), das Prinzip des Karma (egobezogene Handlungen haben entsprechende Gegenwirkungen), das Ideal des Handelns ohne Egowünsche, das Konzept der göttlichen Inkarnation, der Weg der liebenden Hingabe, der Weg der philosophischen Unterscheidung, die Eigenschaften eines im höheren Geist gefestigten Menschen, und weiteres mehr.
Ob die Bhagavad-Gita ein historischer Bericht ist oder nicht, und wann und von wem sie verfasst wurde, ist ein kontroverses Thema.
Diese Phase beginnt mit Shankaracharya (788-820 n. Chr.), der den Vedanta systematisierte und die besten Teile von Samkhya, Yoga und Buddhismus in den Vedanta integrierte. Nach ihm kamen andere Lehrer, die das Prasthana-Trayam anders verstanden, und konkurrierende Vedanta-Schulen gründeten.
Diese Phase beginnt mit Sri Ramakrishna (1836-1886), der das Bindeglied vom alten Indien zur Neuzeit bildet. Durch die Verwirklichung der spirituellen Ziele der indischen Glaubenslehren bewirkte Ramakrishna eine Erneuerung dieser inzwischen ganz theoretisch gewordenen Systeme. Dieses neu erweckte Leben wurde durch seine Kontakte zu sehr vielen Sadhus und Pilgern in ganz Indien verbreitet. Dadurch, dass er verschiedene Wege bis zu ihrem jeweiligen Ende ging, bildete sein Leben eine sichtbare Einheit, die der Zersplitterung der Lehrmeinungen entgegenstand. Außerdem war er der erste bedeutende Heilige Indiens, der vernünftige Kenntnis ausländischer Religionen hatte und deren Spiritualität erfolgreich praktizierte. Durch Ramakrishnas Leben wuchs Vedanta von einer rein indischen Philosophie zu einer universellen spirituellen Sichtweise.
Swami Vivekananda (1853-1902) konnte darauf aufbauend zum Ende des 19ten Jahrhunderts weltweit vedantische Impulse setzen. Er legte den Nachdruck auf:
Vivekananda betont den Gedanken eigener spiritueller Unternehmungslust und ermutigt jeden, die spirituelle Erfahrung in sich selbst zu entdecken. Die Methoden dafür gruppierte er zu vier prinzipiellen Wegen. Jeden dieser Wege nannte er Yoga. Sein Yoga-Konzept geht damit weit über das Konzept der klassischen Yoga-Philosophenschule hinaus:
Ansatzpunkt sind die intensiven Gefühle einer starken Beziehung. Der Strebende baut im Bhakti Yoga eine menschliche Beziehung zu seinem göttlichen Ideal auf. Die konzentrierte Macht seiner Gefühle ist sein Werkzeug zur Herbeiführung der spirituellen Erfahrung.
Ansatzpunkt ist die Freude an der Nutzung eines scharfen Intellekts. Durch klare Überlegung unterscheidet der Strebende die Substanz von der Erscheinung bei sich selbst und der wahrgenommenen Welt. So befreit er sich von aller Verwirrung durch Unechtes. Dann bleibt das Echte, die eigene wahre Natur, die sich spontan in ihrer Fülle zeigt.
Ansatzpunkt ist das Handlungsbedürfnis. Statt mit Blick auf späteren Gewinn zu handeln, übt sich der Strebende, selbstlos bei allen seinen Aktivitäten in der jeweiligen Handlung zu stehen. Jede Handlung soll „Flow“-Erlebnis werden, das Universum und nicht ein kalkulierendes Ego soll durch den Strebenden handeln. Wenn das kalkulierende Ego wirklich zur Seite tritt, wird das Leben selbst zu einer spontanen spirituellen Erfahrung.
Ansatzpunkt ist die Freude am Experimentieren mit den Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Durch gezielte Übungen und Meditationen schult der Strebende seinen Geist und macht ihn zu seinem eigenen Freund. Auf diese Weise entdeckt er neue Fähigkeiten und Wahrnehmungsarten und gelangt so zu immer tieferen spirituellen Erfahrungen.
Inzwischen bringt nicht nur Indien erstaunliche Persönlichkeiten hervor, die sich auf den Vedanta berufen, sondern auch der Westen. Vedantische Grundkonzepte werden außerdem vielfach als hilfreich angesehen, um die eigene angestammte Religion in ihrer Tiefe neu zu entdecken. Beipiele dafür sind der Franzose Henri Le Saux und der Brite Bede Griffith (beides Benediktiner), die den Vedanta als Hilfe zu einem neuen Verständnis des Christentums ansehen.
Wer Gott nicht in sich selbst findet, wird ihn niemals außerhalb von sich selbst finden. Aber der, der ihn im Tempel der eigenen Seele sieht, sieht ihn auch im Tempel, welcher dieses Universum ist.