Shankara wird bei sehr vielen Hymnen traditionell als Autor angesehen. Ob er tatsächlich der Autor war, ist schwer zu sagen. Der Inhalt der folgenden Hymnen gibt jedenfalls seine Lehre gut wieder.
Prātaḥ-smaraṇa-stotram
prātaḥ smarāmi hṛdi saṃ-sphurad ātma-tattvaṃ,
sac-cit-sukhaṃ parama-haṃsa-gatiṃ turiyam |
yat svapna-jāgara-suṣuptim avaiti nityaṃ,
tad-brahma niṣ-kalam ahaṃ na ca bhūta-saṃghaḥ || 1 ||
prātaḥ
Adverb
bei Sonnenaufgang, morgens
smarāmi
1 Pers Sing Präs
erinnere ich mich
hṛdi
Lok Sing Neutr
im Herzen
sam-sphurat
Akk Sing Neutr Part Präs
an das aufleuchtende
ātma-tattvam
Akk Sing Neutr
Ātman-Sosein
sat-cit-sukham
Akk Sing Neutr
[welches] Sein-Bewusstseins-Glück [ist,]
parama-haṃsa-gatim
Akk Sing Fem
das Ziel der Paramahamsas,
turīyam
Akk Sing Neutr
der vierten Zustand.
yat
Rel-Pron Nom Sing Neutr
Welches
svapna-jāgara-suṣuptim
Akk Sing Fem
zum Traum-, Wach-, Tiefschlaf-Zustand
ava-eti
3 Pers Sing Präs
hinabsteigt
nityam
Adverb
ständig.
tat-brahma
Nom Sing Neutr
Dieses Brahman
niḥ-kalam
Nom Sing Neutr
ohne Teile
aham
[bin] ich
na ca
und nicht
bhūta-saṃghaḥ
Nom Sing Mask
eine materielle Element-Zusammenstellung
Bei Sonnenaufgang erinnere ich mich an das im Herzen aufleuchtende Dasein des Ātman,
welches Sein-Bewusstsein-Glück, Ziel der höchsten Yogis, vierter Zustand ist;
welches in die Zustände von Träumen, Wachen und Tiefschlaf ständig hinabsteigt;
dieses Brahman ohne Teile bin ich und nicht eine Verbindung materieller Elemente. (1)
prātar bhajāmi manaso vacasām agamyaṃ,
vāco vibhānti nikhilā yad-anu-graheṇa |
yan neti neti vacanair nigamā avocus,
taṃ deva-devam ajam acyutam āhur agryam || 2 ||
prātaḥ
bei Sonnenaufgang
bhajāmi
1 Pers Sing Präs
verehre ich
manasaḥ
Gen Sing Neutr
[das] für Gedanken
vacasām
Gen Plu Neutr
[und] für Worte
a-gamyam
Akk Sing Neutr
unerreichbare
vācaḥ
Nom Plu Fem
Worte
vi-bhānti
3 Pers Plu Präs
erscheinen
ni-khilāḥ
Nom Plu Fem
restlos
yat-anu-grahena
Inst Sing Neutr
durch dessen Gnade
yat
Akk Sing Neutr
welches
na iti na iti vacanaiḥ
Inst Plu Neutr
mit den Worten: „Nicht das, nicht das.“
nigamāḥ
Nom Plu Mask
die heiligen Texte
avocuḥ
3 Pers Plu Aorist
beschrieben haben
tam
Akk Sing Mask
welchen [sie]
deva-devam
Akk Sing Mask
Gott unter den Göttern
a-jam
Akk Sing Mask
ungeboren
a-cyutam
Akk Sing Mask
unerschütterlich
āhuḥ
3 Pers Plu Perfekt
genannt haben
agryam
Akk Sing Mask
an der Spitze stehend
Morgens verehre ich das von Gedanken und Worten Unerreichbare,
durch dessen Gnade alle Worte entstehen;
welches die heiligen Texte mit den Worten „Nicht dies, nicht das“ beschrieben haben,
das sie Gott der Götter, ungeboren, unerschütterlich und an der Spitze stehend genannt haben. (2)
prātar namāmi tamasaḥ param arka-varṇaṃ,
purṇaṃ sanātana-padaṃ puruṣottamākhyam |
yasminn idaṃ jagad-aśeṣam aśeṣa-mūrtau,
rajjvāṃ bhujaṃ-gama iva prati-bhāsitaṃ vai || 3 ||
prātaḥ
bei Sonnenaufgang
namāmi
1 Pers Sing Präs
verneige ich mich vor
tamasaḥ
Abl Sing Neutr
von der Dunkelheit
param
Akk Sing Mask
jenseits
arka-varṇam
Akk Sing Mask
die Farbe der Sonne [habend]
purṇam
Akk Sing Mask
vollkommen
sanātana-padam
Akk Sing Mask
Ewigkeits-Zeichen
puruṣa-uttama-ākhyam
Akk Sing Mask
höchster Purusha genannt
yasmin
Rel-Pron Lok Sing Mask
in welchem
idam
Pron Nom Sing Neutr
diese
jagad-aśeṣam
Nom Sing Neutr
Welt-Gesamtheit
aśeṣa-murtau
Lok Sing Mask
in vollständiger Materialisierung
rajjvām
Lok Sing Fem
in einem Seil
bhujam-gamaḥ
Nom Sing Mask
eine Schlange
iva
wie
prati-bhāsitam
PPP Nom Sing Neutr
erschienen ist
vai
wahrlich
Morgens verneige ich mich vor dem, welches jenseits der Dunkelheit ist, von der Farbe der Sonne,
vollkommen, mit Ewigkeit als Merkmal, und höchstes Prinzip genannt;
in welchem dieses ganze Universum in vollständig materieller Form
wahrlich so erschienen ist wie eine Schlange wo [nur] ein Seil ist. (3)
Nirvāṇa-ṣaṭkam
mano-buddhy-ahaṃkāra-cittāni nāhaṃ,
na ca śrotra-jihve na ca ghrāṇa-netre |
na ca vyoma-bhūmir na tejo na vāyuś,
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 1 ||
manaḥ-buddhi-ahaṃkāra-cittāni
Nom Plu Neutr
Gemüt, Verstand, Ego, Erinnerung
na
nicht
aham
ich [bin]
na ca
und nicht
śrotra-jihve
Nom Dual Neutr
Ohr, Zunge
na ca
und nicht
ghrāṇa-netre
Nom Dual Neutr
Nase, Auge
na ca
und nicht
vyoma-bhūmir
Nom Sing Fem
Raum, Erde
na
nicht
tejaḥ
Nom Sing Neutr
Feuer
na
nicht
vāyuḥ
Nom Sing Mask
Luft
cid-ānanda-rūpaḥ
Nom Sing Mask
Bewusstsein-Glückseligkeit-Gestalt
śivaḥ
Nom Sing Mask
Shiva (=der Gütige)/das Absolute,
ahaṃ
[bin] ich
Weder Gemüt, Verstand, Ego oder Erinnerung bin ich,
noch Ohr, Zunge, noch Nase, Auge,
noch Raum, Erde, noch Feuer, noch Luft,
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (1)
na ca prāṇa-saṃjño na vai pañca-vāyur,
na vā sapta-dhātur na vā pañca-kośaḥ |
na vāk-pāṇi-pādaṃ na copastha-pāyū,
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 2 ||
na ca
und nicht
prāṇa-saṃjñaḥ
Nom Sing Mask
das was als Prāṇa angesehen wird
na
nicht
vai
wahrlich
pañca-vāyuḥ
Nom Sing Mask
die fünf Körperwinde
na vā
noch
sapta-dhātuḥ
Nom Sing Mask
die sieben Körperbestandteile
na vā
noch
pañca-kośaḥ
Nom Sing Mask
die fünf Hüllen [um den Atman]
na
nicht
vāk-pāṇi-pādam
Nom Sing Neutr
Sprache, Hand, Fuß
na ca
und nicht
upastha-pāyū
Nom Dual Mask
Sex-Organ, Anus
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham
s.o.
Weder das, was als Prāṇa angesehen wird, noch die fünf Körperwinde,
weder die sieben Körperbestandteile, noch die fünf Hüllen um den Ātman,
nicht Sprachorgan, Hand, Fuß, nicht Geschlechtsorgan noch Anus,
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (2)
na me dveṣa-rāgau na me lobha-mohau,
mado naiva me naiva mātsarya-bhāvaḥ |
na dharmo na cārtho na kāmo na mokṣaś,
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 3 ||
na me
nicht mein [sind]
dveṣa-rāgau
Nom Dual Mask
Abneigung und Anhaftung
na me
nicht mein [sind]
lobha-mohau
Nom Dual Mask
Gier, Verblendung
madaḥ
Nom Sing Mask
Aufregung
na eva
in der Tat nicht
me
mein
na eva
in der Tat nicht
mātsarya-bhāvaḥ
Neid-Zustand
na
nicht
dharmaḥ
Dharma, Pflicht
na ca
und nicht
arthaḥ
Geschäftserfolg, Karriere
na
nicht
kāmaḥ
Lust, Genuss
na
nicht
mokṣaḥ
Befreiung
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham
s.o.
Zu mir gehören weder Abneigung noch Anhaftung, weder Gier noch Verblendung,
Aufregung ist nicht mein, noch der Zustand des Neids.
Weder Dharma, noch Karriere, noch Genuss, noch Befreiung,
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (3)
na puṇyaṃ na pāpaṃ na saukhyaṃ na duḥkhaṃ,
na mantro na tīrthaṃ na vedā na yajñāḥ |
ahaṃ bhojanaṃ naiva bhojyaṃ na bhoktā
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 4 ||
na
nicht
puṇyam
tugendreiche Handlung
na
noch
pāpam
Sünde
na
nicht
saukhyam
Glück
na
noch
duḥkham
Leid
na
nicht
mantraḥ
Mantra
na
noch
tīrtham
Wallfahrtsort
na
nicht
vedāḥ
Nom Plu Mask
Veden
na
noch
yajñāḥ
Nom Plu Mask
Opfer
aham
ich
bhojanam
die Handlung des Genießens
na eva
nicht in der Tat
bhojyam
das zu Genießende
na
nicht
bhoktā
der Genießende
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham
s.o.
Weder Tugend noch Laster, weder Freude noch Leid,
weder Mantra noch Wallfahrtsort, weder Heilige Schrift noch heiliger Ritus,
ich bin weder das Genießens, noch das, was genossen wird, noch der Genießende
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (4)
na mṛtyur na śaṅkā na me jāti-bhedaḥ,
pitā naiva me naiva mātā na janma |
na bandhur na mitraṃ gurur naiva śiṣyaś,
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 5 ||
na
nicht
mṛtyuḥ
Tod
na
nicht
śaṅkāḥ
Furcht
na me
nicht mein
jāti-bhedaḥ
Geburts-Unterschied, Standesunterscheidung
pitā
ein Vater
na eva
nicht in der Tat
me
mein
na eva
nicht in der Tat
mātā
eine Mutter
na
nicht
janma
Nom Sing Neutr
eine Geburt
na
nicht
bandhuḥ
Verwandter
na
nicht
mitram
Freund
guruḥ
Guru
na eva
nicht in der Tat
śiṣyaḥ
Schüler
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham
s.o.
Mein sind nicht Tod, noch Furcht, noch Standesunterschiede,
ich habe weder Vater noch Mutter, noch Geburt,
weder Verwandte noch Freund, weder Guru noch Schüler
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (5)
ahaṃ nirvikalpo nirākārarūpo,
vibhutvāc ca sarvatra sarvendriyāṇām |
na cāsaṃgataṃ naiva muktir na meyaś,
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham || 6 ||
aham
ich [bin]
niḥ-vi-kalpaḥ
ohne Subjekt-Objekt-Unterscheidung
niḥ-ākāra-rūpaḥ
von gestaltlosem Wesen
vi-bhutvāt
Abl Sing Mask
aufgrund von Alldurchdringung
ca
und
sarvatra
überall
sarva-indriyāṇām
Gen Plu Neutr
für alle Sinnesorgane
na ca
und nicht
ā-saṃ-gataṃ
Nom Sing Neutr
gebunden
na eva
noch in der Tat
muktiḥ
Nom Sing Mask
befreit
na
nicht
meyaḥ
Nom Sing Mask
messbar
cid-ānanda-rūpaḥ śivo ’haṃ śivo ’ham
s.o.
Ich bin ohne Subjekt-Objekt-Unterscheidung, gestaltlosen Wesens,
und aufgrund von Alldurchdringung für die Sinnesorgane überall.
Weder gebunden, noch befreit, noch erfassbar,
Bewusstsein und Glückseligkeit sind meine Gestalt,
ich bin das Göttliche, ich bin das Göttliche. (6)