Ramakrishna berichtet über außergewöhnliche Sadhus

Auszug aus Swami Saradanandas Ramakrishna-Biographie,

„Srî-Râmakrishna-Lîlâprasanga“ (englisch: „Sri Ramakrishna the Great Master“). Nebenstehende Übertragung orientiert an der neuen französischen Übersetzung von M. Meex et al. (Auszug aus Teil 4, Kap. 2).


Anmerkungen:

Typische indische Metallfigur, die zur täglichen Verehrung genutzt wird

Rama, als Kind Ramlala genannt, wird als göttliche Inkarnation angesehen. Seine Mutter hieß Kausalya. Er emigrierte in den Urwald, um in Zusammenhang mit einer Intrige ein Versprechen seines Vaters zu erfüllen. Sein Vater starb kurz darauf. Auf diese Vorkommnisse wird im Bericht angespielt.

Ähnlich wie es im Westen die Verehrung des Jesuskindes gibt, gibt es in Indien die Verehrung des Kindes Rama als spirituellen Weg.

Viele Pilger machten im Dakshineswar-Tempel Station

Ramakrishnas Schüler Swami Saradananda schreibt:

Bezüglich der Personen, die er im Dakshineswar-Tempel kennen lernte, berichtete uns der Meister folgendes:

Young Bengal (diese beiden Worte sagte er auf englisch) wie ihr, besucht diesen Ort erst, nachdem Keshab Sen seit einiger Zeit hierher kommt. Wisst ihr überhaupt, wie viele pilgernde Sadhus früher kamen? Seit dem Bau der Eisenbahn machen sie hier nicht mehr Station, aber vorher nahmen Pilger immer die Route am Ganges entlang, entweder in Richtung Meer, um an der Gangesmündung zu baden oder in Richtung Puri, um im dort im Tempel ihre Verehrung Sri Jagannath darzubringen. Und alle, die die Gangesroute nahmen, ruhten sich einige Tage hier im Tempelgarten aus. Manche blieben auch länger. Wisst ihr warum? Sadhus bleiben dort nicht lange, wo sie keine Nahrung erbetteln können und wo es keine abgelegenen Plätze gibt, um in Ruhe körperliche Bedürfnisse zu erledigen. Sadhus halten ihren Körper nur durch Betteln am Leben. Deshalb machen sie nur da Station, wo Nahrung leicht erhältlich ist. Wenn Sie während der Pilgerreise ermüdet sind, halten sie zwar auch manchmal dort an, wo sie keine Nahrung bekommen, doch nie dort, wo es kein Wasser gibt und wo man nicht diskret zur Toilette kann.

Es war bequem und angenehm, im Tempelgarten Nahrung zu erhalten und es gab immer Wasser dank Mutter Ganges, die vorbei fließt. In der Umgebung gibt es außerdem viele Möglichkeiten, sich diskret zurück zu ziehen, so wie es die Sadhus wünschten. Zu dieser Zeit hielten sie sich also gerne hier auf. Und durch Mund zu Mund Werbung unter den Pilgern wurde der Tempelgarten als bester Zwischenstopp bekannt für die Routen zur Gangesmündung und nach Puri.

Zu bestimmten Zeiten kamen fantastische Arten von Sadhus in großer Zahl hierher, so kamen zum Beispiel manchmal Gruppen von Sannyasis oder Paramahamsas — nicht zu verwechseln mit den vielen Bettlern, die nur etwas zu essen suchen. Viele der Sadhus fanden sich Tag und Nacht hier im Zimmer wieder (d.h. in seinem Zimmer), und tage- und nächtelang wurde über vedantische Themen debattiert, z.B. über die Natur von Brahman und Maya, und über das, was „ist und sich offenbart als Geliebtes“ (eine Beschreibung des Göttlichen, Variation der Bezeichnung Sat-Chid-Ananda, Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit).

Leidenschaftliche Diskussionen unter den Sadhus fanden hier zu solchen Themen statt. Ich litt damals fürchterlich an der Ruhr und musste ständig austreten. Hriday hatte aus Lehm ein Klo in einer Zimmerecke gebaut. Ich war so krank und trotzdem hörte ich ihren Diskussionen über die vedantische Erkenntnis zu. Die göttliche Mutter erhob sich in meinem Innern und zeigte mir einfache Lösungen zu den komplizierten Problemen, über die sich die Sadhus nicht einigen konnten. Ich sprach diese Lösungen aus und die Meinungsverschiedenheiten der Sadhus verschwanden.

Der hohe spirituelle Zustand mancher Sadhus

Einmal kam ein Sadhu, dessen Gesicht eine besondere Ausstrahlung hatte. Er hatte die Angewohnheit, sich hinzusetzen und zu lächeln. Morgens und abends kam er aus seinem Zimmer, betrachtete alles, die Bäume, die Blumen, den Himmel, den Ganges, usw., und tanzte dann voller Freude mit erhobenen Armen. Manchmal brach er in Lachen aus und rief: „Herrlich! Wie wunderbar ist diese Maya! Welche Illusion doch da erschaffen wurde!“ Er wollte sagen, dass Gott solch eine schöne Maya hat erscheinen lassen. Das war sein ganzer Gottesdienst. Er hatte die Glückseligkeit verwirklicht.

Ein anderer Sadhu, der kam, war trunken von göttlicher Erkenntnis. Er sah aus wie ein Geist, nackt und voller Staub am Körper und auf dem Kopf, mit langen Fingernägeln und langen Haaren. Am Oberkörper trug er einen Umhang in Fetzen, der aussah, als hätte er ihn einer verbrannten Leiche abgenommen. Stehend vor dem Kali-Tempel, betrachtete er die Statue und sang eine Hymne auf eine Art, die, man möchte sagen, den ganzen Tempel erbeben ließ, — und die göttliche Mutter schien zufrieden zu sein und lächelte. Dann ging er zur Essensausgabe für Bettler und setze sich. Als die anderen Bettler sein Geistergesicht sahen, wollten sie ihn nicht in ihrer Nähe haben und vertrieben ihn. Ich sah ihn dann, wie er zusammen mit einem Hund Essensreste aß, die auf einem Bananenblatt in eine dreckige Ecke geworfen waren. Einen Arm hatte er um die Schultern des Hundes gelegt, und beide aßen vom selben Blatt. Der Hund bellte nicht, noch versuchte er wegzulaufen, obwohl ihm ja ein Fremder den Arm um seinen Hals gelegt hatte. Als ich den Sadhu so sah, bekam ich Angst, auch in seinem Zustand zu geraten, und wie er leben und umherirren zu müssen. Ich ging zu Hriday und sagte ihm: „Da ist jemand angekommen, der verrückt scheint, aber das ist keine normale Verrückheit, das ist die Verrückheit der höchsten Gottbewusstheit.“ Hriday rannte hin um ihn zu sehen und fand ihn, als er gerade den Tempelgarten verließ. Er folgte ihm ein gutes Stück und bettelte: „Heiliger Mann, bitte gebt mir eine Anweisung, damit ich Gott verwirklichen kann.“ Zuerst antwortete der Sadhu nicht. Aber da Hriday sich nicht entmutigen ließ und ihm weiter auf den Fersen blieb, sagte er schließlich, auf das Wasser in der Straßengosse zeigend: „Du wirst Gott verwirklichen, wenn dir dieses Wasser hier und das des Ganges identisch und gleichermaßen heilig erscheinen.“ Sonst sagte er nichts. Hriday versuchte mehr zu erfahren, und schlug vor: „Herr, bitte macht mich zu Eurem Schüler und nehmt mich mit Euch mit.“ Der Sadhu antwortete nicht. Nachdem er ziemlich weit gegangen war, drehte er sich um und sah, dass Hriday ihm immer noch folgte. Scheinbar erbost, sammelte er einen Ziegelstein auf und drohte diesen auf Hriday zu werfen. Hriday flüchtete sofort. Der Sadhu ließ den Stein fallen, verließ die Straße und verschwand. Man sah ihn nie wieder.

Solche Sadhus nehmen ein derartig abstoßendes Aussehen an, um nicht von Leuten belästigt zu werden. Dieser Sadhu hatte den Zustand eines wirklichen Paramahamsas erreicht. Heißt es nicht in den Schriften über diese Verwirklichten: „Sie leben wie Kinder, Geister oder Verrückte.“?

Paramahamsas erlauben deshalb Kindern, ihnen zu folgen und mit ihnen oder um sie herum zu spielen. So erlernen die Paramahamsas, wie Kinder zu sein. Sie versuchen, unbekümmert zu werden wie Kinder, die keiner Sache verhaftet sind. Habt ihr nicht bemerkt, wie froh ein Kind ist, wenn seine Mutter ihm ein neues Kleidungsstück geschenkt hat? Wenn man es fragt: „Gibst du mir dein Kleidungsstück?“ sagt es sofort: „Nein, Mama hat es mir gegeben!“ Und bei diesen Worten wird es sein neues Kleidungsstück mit ganzer Kraft festhalten und dich ängstlich anschauen, aus Sorge, dass du es ihm entreißt, so als hinge sein ganzes Herz an diesem schönen Stück Stoff. Doch kurz danach, wenn es ein Spielzeug in deiner Hand sieht, das nicht mehr als einen halben Penny wert ist, sagt es vielleicht: „Gib mir das da und ich gebe dir mein Kleidungsstück.“ Ein bisschen später, lässt es das Spielzeug irgendwo liegen, um eine Blume zu pflücken. Es ist ebenso wenig dem Kleidungsstück verhaftet, wie dem Spielzeug. Dasselbe gilt auch für die Brahman-Kenner.

Die Geschichte von Ramlala, dem göttliche Kind

Die Zeit verging, die Besuche der Paramahamsas wurden seltener und die Babajis der Ramavat-Bewegung begannen einzutreffen. Wie groß doch ihre Hingabe und ihr Glauben war, und wie standhaft ihr Gottesdienst! Durch einen von ihnen kam Ramlala zu mir. Das ist eine lange Geschichte.

Einer diese Babajis verehrte seit langer Zeit eine Figur des Kindes Rama. Die Figur nahm er immer mit sich mit. Jegliche Nahrung, die er erbettelte, bot er zuerst dieser Figur als Opfergabe dar. Aber das war nicht alles, er sah nämlich tatsächlich, dass Ramlala aß, und er sah, dass dieser den Wunsch ausdrückte, etwas bestimmtes zu essen oder irgendwo spazieren zu gehen oder dass er irgendeine Laune durchsetzen wollte. Mit der Figur lebte er in Glückseligkeit zusammen und war ständig wie von Gott betrunken. Ich konnte ebenfalls sehen, dass der kleine Rama das alles machte. Tag und Nacht blieb ich bei dem Babaji und schaute zu, was das göttliche Kind machte. Die Tage vergingen und die Zuneigung von Ramlala zu mir wurde größer. Solange ich bei dem Babaji war, war Ramlala fröhlich und amüsierte sich, aber sobald ich wegging, um in mein Zimmer zurückzukehren, folgte er mir sofort. Er blieb nicht beim Babaji, selbst wenn ich ihm verbot, mir zu folgen. Zuerst dachte ich, das sei nur meine Einbildung. Denn wie sollte es möglich sein, dass das Kind mich mehr liebte als den Babaji, der es so lange verehrt hatte, es so sehr liebte und der ihm mit so fürsorglicher Hingabe diente.

Doch was nutzten diese Gedanken? Ich sah, genauso wie ich jetzt euch vor mir sehe, vor mir Ramlala, der mich begleitete und manchmal vor mir herumtanzte und manchmal hinter mir. Manchmal verlangte er, dass ich ihn auf den Schoß nehme. Sobald er dort aber einmal saß, wollte er nicht sitzen bleiben! Er kletterte wieder herunter und rannte in alle Richtungen um Blumen in den Dornensträuchern zu pflücken oder im Ganges zu plantschen und sich zu amüsieren. Ich wiederholte ständig: „Mein Kind, mach das nicht, du holst dir Blasen an den Füßen, wenn du zu viel in der Sonne rennst. Bleibe nicht so lange im Wasser, du erkältest dich und kriegst Fieber.“ Aber er hörte überhaupt nicht zu, egal wie sehr ich mit ihm schimpfte. Unbekümmert machte er weiter mit seinen Faxen, als hätte ich zu jemand anderem gesprochen. Manchmal lachte er verschmitzt und schaute mich mit seinen schönen Augen an, schön wie Lotusblütenblätter, und trieb seine Späße weiter, um mich heraus zu fordern. Er machte einen Schmollmund und schnitt Grimassen. Ich wurde böse und schimpfte: „Du Frechdachs, warte nur, ich werde dir eine Tracht Prügel verabreichen.“ Mit diesen Worten zog ich ihn aus der Sonne oder aus dem Wasser, lenkte ihn mit der einen oder anderen Sache ab und bat ihn, im Zimmer zu spielen.

Manchmal, wenn es anders nicht möglich war, seine Ungezogenheit zu zügeln, gab ich ihm auch einen Klapps oder zwei. Auf diese Weise bestraft, schmollte er und schaute mich schluchsend mit Tränen erfüllten großen Augen an, und ich fühlte seinen ganzen Schmerz. Dann nahm ich ihn liebevoll auf den Schoß und liebkoste ihn. Wirklich, ich habe das gesehen und so gehandelt.

Einmal, als ich mich im Ganges waschen wollte, wollte er mich unbedingt begleiten. Was konnte ich machen? Ich nahm ihn mit. Dann wollte er aber nicht mehr aus dem Wasser kommen. Er stellte sich taub gegen alle meine Ermahnungen. Schließlich wurde es mir zu bunt und ich drückte seinen Kopf unters Wasser mit den Worten: „Bleib jetzt da so lange du willst.“ Ich sah ihn zappeln und nach Luft kämpfen. Als ich ihn so leiden sah, dachte ich erschrocken: „Was hab ich gemacht?“, holte ihn aus dem Wasser und nahm ihn in den Arm.

Es ist unbeschreiblich, welchen Schmerz ich bei einer anderen Gelegenheit empfand und wie sehr dann weinte. An jenem Tag forderte Ramlala hartnäckig etwas zu essen und ich gab ihm nur halb geschälten getrockneten Reis, in der Hoffnung, ihn zu beruhigen. Danach bemerkte ich, dass seine zarte Zunge Wund geworden war durch die rauen Schalen des gegessenen Reises. Oh je, welchen Schmerz mir das bereitete! Ich nahm ihn auf den Schoß und weinend, ihn am Kinn steichelnd, sagte ich: „Ich war so voreilig und grob, dass ich nicht zögerte solch verachtenswerte Nahrung Ramlala zu geben, dem seine Mutter Kausalya nur ausgesuchten Speisen wie Butter, Yoghurt und Sahne gab, voll Sorge, dass sie auch bekömmlich für ihn sind.“


Als der Meister diese Geschichte erzählte, kam sein Schmerz wieder so sehr hoch, das er zu weinen begann. Wir konnten ihn nicht trösten und hatten ebenfalls Tränen in den Augen, obwohl wir kaum etwas von seiner Liebe zu Ramlala verstanden

Der Meister fuhr fort:

An manchen Tagen bereitete der Babaji das Essen und wollte es Ramlala darbringen, konnte ihn aber nicht finden. Mit verletzten Gefühlen kam er hierher und fand ihn beim Spielen in meinem Zimmer. Betroffen durch verletzte Liebe stellte er ihn zur Rede: „Ich habe so viel Probleme, um dir das Essen zu bereiten und renne in alle Richtungen, um dich zu suchen. Doch du kümmerst dich um nichts und alles vergessend bist du hier. Es ist immer dasselbe mit dir. Du handelst nur nach Lust und Laune. Weder freundlich noch mitfühlend bist du. Deinen Vater hast du verlassen und bist in den Wald gezogen. Dein armer Vater ist vor Kummer gestorben aber du, gleichgültig, bist niemals zurückgekommen, ihn zu besuchen.“ Mit dieser Art von Vorwürfen holte er Ramlala ab und gab ihm zu essen.

Die Zeit verging und der Babaji blieb lange hier, da Ramlala nicht von hier weggehen wollte. Und natürlich konnte der Babaji nicht ohne ihn weggehen, den er schon so lange über alles liebte.

Eines Tages jedoch kam der Babaji in Tränen aufgelöst zu mir und sagte: „Ramlala hat sich mir auf die Art gezeigt, in der ich seine Vision erhalten wollte und nun ist der Durst meines Lebens gestillt. Er hat mir gesagt, dass er nicht von hier weggehen wird; er will Euch nicht verlassen. Mein Geist ist jetzt frei von Trauer und Pein. Ramlala ist fröhlich bei Euch und amüsiert sich. Ich bin außer mir vor Freude, das zu sehen. Jetzt bin ich in einem Zustand, wo ich mich freue über sein Glück. Ich kann ihn deshalb bei Euch lassen und weiter ziehen. Mit dem Gedanken, dass er bei Euch glücklich ist, werde ich glücklich sein.“ Somit überließ er mir Ramlala, und seitdem ist Ramlala hier.

In Anbetracht seiner großen Hingabe zu Ramlala, denken wir, das der Babaji sich nur deshalb zur Abreise entschließen konnte, weil er die Sicherheit hatte, sein erwähltes Gottesideal, immer wenn er es wünschte, zu schauen.

Ich sehe tatsächlich, das es das Absolute ist, welches zu allem um uns herum geworden ist. Es ist Gott, der als individuelle Seele und als Welt der Phänomene erscheint. Doch das Erwachen des inneren Geistes ist notwendig, um diese Wirklichkeit zu schauen. — Sri Ramakrishna