Ramana Maharshi (1879-1950) war Bernards spirituelles Vorbild
Bernards Lehrer Swami Ritajananda (1906-1994) war Mönch des Ramakrishna-Ordens. Der Swami hatte als junger Mann den Maharshi besucht und berichtete manchmal seinen Schülern davon.
Am Todesabend von Ramana am 14.4.1950 war der Swami in Madras und sah die ungewöhnlich helle und langsam ziehende Sternschnuppe, die viele Anhänger des Maharshi mit dessen Tod in Verbindung brachten.
Bernard wurde Januar 1950 in der Bourgogne in einer tief katholischen Familie geboren und wuchs auf in einer Sphäre von Gebeten, Gottesdiensten und Glaubensbekenntnissen. Nur die ständig hervorgehobenen Ideen der Sünde und der Schuld bedrückten ihn. Doch Bernard glaubte felsenfest an seine Religion. Leidenschaftlich religiös, gierig auf das Absolute, wie er es ausdrückte, versuchte er mit Hilfe aller Möglichkeiten, die ihm seine Religion bot, „besser“ zu werden.
Er empfand für die Heilige Jungfrau eine totale und übermäßige Liebe. Ebenso begeisterte er sich für manche katholische Heilige, besonders für Schwester Elisabeth der Dreieinigkeit, eine Karmeliterin aus Dijon. Diese war für ihn vollständig Liebe aufgrund ihrer Hingabe an „ihren Jesus“. Der Gedanke an die Hingabe dieser Heiligen ließ ihn innerlich erzittern, so sehr fühlte er ihre Gegenwart in sich. Das gab ihm innere Bestätigung und leitete ihn weiter auf seinem Weg zu jenem Liebesfeuer, von dem er wusste, dass nur die es wahrnehmen können, die bereit sind, für Gott alles zu geben.
Trotz seiner religiösen Inbrunst schlug Bernard einen normalen bürgerlichen Lebensweg ein. Er studierte Lehramt Mathematik, wurde Mathematiklehrer an einem Lycée, heiratete und bekam von seiner Frau schließlich vier Kinder.
Daneben praktizierte Bernard asketische Übungen mit der für ihn typischen grenzenlosen Leidenschaft. Doch je intensiver seine Suche wurde, desto schwieriger tat er sich mit den Dogmen seiner Religion. Sein Bedürfnis, das Warum des Lebens, der Sünde und der Erbsünde zu verstehen, fand keine befriedigenden Antworten — und er ahnte, dass ihm seine Religion keine befriedigenden Antworten geben konnte.
1979, als diese Zweifel erdrückend geworden waren und er sich in einer dunklen Nacht der Seele glaubte, traf er auf ein Buch über Ramana Maharshi. Diese Lektüre stellte sein ganzes Weltbild auf den Kopf und er entwickelte für Ramana eine ebensolche glühende Hingabe, wie er sie vorher für die heilige Elisabeth empfunden hatte.
Einige Zeit später wurde er auf das Centre Védantique Ramakrishna in Gretz (30 km südöstlich von Paris) hingewiesen und auf dessen damaligen Leiter, Swami Ritajananda (1906-1994). Mit diesem korrespondierte er während mehrerer Jahre und bat ihn um spirituellen Rat, schilderte ihm seinen bisherigen Weg, seine Zweifel, seine Zerrissenheit zwischen seiner eigenen Religion, der er immer noch sehr verhaftet war, und dem Entdecken der Lehren Ramanas, die ihn so tief entflammt hatten. Nach etwa einem Jahr Briefkontakt entschloss sich Bernard nach Gretz zu fahren um den Swami zu treffen. Dieses Treffen 1980 wurde für ihn zu einem unvergesslichen Moment.
Bernard war so beeindruckt von der Gegenwart des Swamis, dass jede seiner Fragen, jeder Zweifel, verschwanden. Er hatte das Gefühl, sein Ego löse sich auf. Nach dem Treffen fühlte er sich mit noch größerem Verlangen und größerer Entschlossenheit erfüllt. Damals war an französischen Schulen donnerstags schulfrei und samstags Unterricht. Von nun an fuhr Bernard fast jeden Donnerstag nach Gretz und verbrachte den Vormittag zusammen mit dem Swami. Swami Ritajananda hatte ebenfalls Mathematik studiert und hatte, nachdem er Mönch geworden war, auch lange als Mathematiklehrer gewirkt. Vielleicht bewirkte diese Gemeinsamkeit eine zusätzliche Affinität. Jedenfalls wurde Bernard fast 15 Jahre lang durch den Swami ermutigt, unterstützt, und in seinen zweifelnden Momenten versichert, bis Swami Ritajananda 1994 starb.
Bernard war sich unsicher bezüglich seiner religiösen Übungen, aber durch den Kontakt zu dem Swami verschwand diese Unsicherheit. Zuerst wagte Bernard auch nicht, daran zu glauben, dass es ihm möglich wäre, die Selbstverwirklichung zu erlangen — so sehr erschien ihm das Beispiel Ramana außergewöhnlich. Aber der Swami antwortete ihm: „Ja, Ramana ist außergewöhlich, aber die Verwirklichung ist nicht außergewöhnlich.“ Und er versicherte Bernard, dass die Selbstverwirklichung kein unmöglich erreichbares Ziel, sondern das Ziel für dieses Leben selbst sei. Und er hatte Recht.
Einige Jahre später, während Bernard zusammen mit seiner ältesten Tochter und einem jungen Freund den Swami in dessen Ashram besuchten, sagte der Swami: „Ich werde bald nicht mehr da sein, aber ihr habt Bernard.“ Und sich speziell an dessen Tochter richtend: „Wenn du Fragen hast, stelle sie deinem Papa. Er wird immer wissen, wie man sie beantwortet.“ Diese wenigen Worte zeigten die große Zuversicht, die Swami Ritajananda gegenüber Bernard hatte, in dem er ein Feuer und eine Entschlossenheit von ungewöhnlicher Kraft bemerkt hatte. Und diese Zuversicht trieb diesen, mehr als zuvor, um mit glühendem Eifer zum Ziel seiner Suche zu gelangen.
1995 fand der Durchbruch statt, der Bernard zur Verwirklichung des Selbst brachte. Ein erster Zustand des zeitweiligen Aufgehens im Selbst, während einer Reise nach Lourdes, ging der dauerhaften Erfahrung voraus, die einige Monate später geschah, und nach der jegliche Identifikation mit irgendeiner bestimmten Form verschwand. Der Sehende und das Gesehene waren seitdem eins, das Wissen des „ich bin“ war dauerhaft und trat in den Vordergrund, ohne dass das Denken beteiligt war. Seit dem Tage gab es keine Veränderung mehr.
Diejenigen, die jetzt erwarten, in Bernard eine Person von außergewöhnlicher Erscheinung zu treffen, werden vielleicht enttäuscht sein, wenn sie ihn sehen. Aufgrund einer körperlichen Schwäche wurde Bernard vorzeitig pensioniert. Er hat nichts vom klassischen Bild des Weisen. Trotzdem berichten seine Freunde, dass Menschen gerührt sind von der Milde seines Blickes und dem Ton seiner Stimme. Sie sind beeindruckt von der Stille, die sein Wesen ausstrahlt, und der lebenden Gegenwart des Selbst und dem Gefühl der Liebe, das er wortlos vermittelt.
Einige der Antworten, die Bernard auf Fragen gab, sind inzwischen in zwei Büchern und einer CD veröffentlicht. Bernard behauptet nicht, irgendetwas besonderes oder neues zu sagen. Alles ist schon gesagt worden. Wieso hat er also seine Bücher herausgeben lassen? Nur um zu unterstreichen, dass die Verwirklichung auch für einen gewöhnlichen Europäer möglich ist.
Wenn das Selbst ein Zustand ist, in dem kein Unterschied zwischen gut und böse besteht, wieso ist es dann notwendig, gut zu sein, um diesen Zustand zu erlangen?
Man muss „verstehen“, das das Selbst kein Zustand ist. Deshalb kann man nicht davon sprechen, diesen zu erreichen. Wir sind immer das Selbst. Hingegen sind Wachen, Träumen und Tiefschlaf Zustände. Sie beziehen sich auf die manifestierte Welt. In diesen Zuständen zeigt sich ein Unterschied zwischen dem, was man „gut“ nennt, und dem, was man „böse“ nennt. In der Regel nennen wir das „gut“, was uns glücklich macht, und „böse“, was uns unglücklich macht. Für denjenigen, der in der Welt lebt und sich mit seinem Körper identifiziert, d.h. mit einer bestimmten Form, existiert dieser Unterschied tatsächlich. Die Frage könnte man deshalb zusammenfassen als: Ist es vorzuziehen, Gutes zu tun statt Böses? Die Antwort ist evident.
Was ist das leichteste Mittel, oder sagen wir besser, das sicherste Mittel, um von einem intellektuellen „Verständnis“ des Selbst zu einer tatsächlichen Erfahrung des Selbst zu gelangen?
Man muss erkennen, dass ein „Verstehen“ immer nur intellektuell sein kann und dass es niemals einem Moment gibt, in dem wir nicht das Selbst erfahren. Das, was wir sind, ist einzig das Selbst, und das, was wir glauben zu sein, ist nur sein Schatten. Trotzdem stimmt es, dass drei Phasen des intellektuellen Vorgangs unerlässlich sind: Hören, Nachsinnen über das Gehörte, und schließlich Erfahrung suchen, Experimentieren. Die spirituelle Erfahrung ist das natürliche Ergebnis der beiden vorausgehenden Phasen, ohne jedoch von diesen hervorgerufen zu sein. Sie erscheint im Moment, an dem man sie am wenigsten erwartet, und löscht für einen Augenblick das Ego aus, d.h. die Gedanken. Wir erfahren immer das Selbst, aber da diese Erfahrung durch die Dualität der manifestierten Welt gestört wird, verwechseln wir das SEIN mit dem SCHEIN, den Sehenden mit dem Gesehenen.
Die spirituelle Suche, die uns eines Tages die Antwort auf das „Wer bin ich?“ geben soll, ist tatsächlich ein intellektueller Vorgang. Wenn man etwas versteht, war es vorher unverstanden, wenn man etwas entdeckt, ist es etwas Neues. Das Selbst hingegen ist immer bekannt. Indem man alles entfernt, was einen hindert, einzig das Selbst zu sein, wird man in Wirklichkeit das, was man permanent ist. Man kann auch sagen und versuchen zu verstehen, dass es in der manifestierten Welt keine Erfahrung des Selbst geben kann, sondern nur die des Nicht-Selbst, d.h. des Egos.
Nisargadatta weist in seinen Gesprächen auf die Ironie der spirituellen Suche hin, die darin liegt, dass der Sucher der Gesuchte ist. Wenn man den Sucher mit dem Auge vergleicht, stellt sich die Frage so: „Kann ein Auge sich selbst sehen?“ Welche Lösung gibt es zu diesem Problem? Was muss man tun oder lassen, damit das Auge sich selbst sehen kann?
Was wir erreichen wollen, was wir leidenschaftlich suchen, mit Feuer, mit unserem ganzen Herzen, unserer ganzen Liebe, selbst für den Preis unserer körperlichen Gesundheit, und was wir schließlich finden, nach zuweilen langem Weg und vielen Prüfungen: das sind wir selbst! Genauer gesagt, unser wirkliches WESEN, das, was wir zu jedem Moment sind und was von nichts erreicht werden kann.
Das stimmt zwar und es ist gut, daran erinnert zu werden — aber für den, der sucht, sind das leider nur Worte. Beruhigende zwar, wenn er sie recht verstanden hat, da er dann weiß, dass er sein Ziel niemals verfehlen kann, da sein Ziel sein eigenes Selbst ist. Aber wieviele Sucher verstehen diese Worte in ihrer ganzen Tragweite? Wieviele handeln folgerichtig? Nur wenige.
So einleuchtend ist das also nicht. Jenseits der schönen Phrasen ist der denkende Geist, kurz: das Ego, nicht sehr geneigt, etwas zu akzeptieren, wo es für ihn keinen Platz mehr gibt. Schließlich geht es doch meistens um das Ego. Deshalb gibt es eine Suche, einen langen Weg, haufenweise Meditationstechniken, endlose Yogaübungen, die dem Schüler erlauben, sich zu entspannen, zu meditieren. Schließlich, wenn Ruhe eingekehrt ist und gewisse Erfahrungen zur rechten Zeit geschehen, versteht er, dass er vielleicht nicht der physische Körper ist.
Natürlich gibt es nicht zwei Selbste, von denen das eine das andere sucht. Allerdings gibt es das Manifestierte und das Unmanifestierte, und das ist der Grund, warum der Weg so weit ist. Der Sucher befindet sich in der manifestierten Welt, während der Gesuchte unmanifestiert ist. Beide sind wirklich, aber der eine ist ewig, während der andere, vergleichsweise, nur eine Tausendstel Sekunde dauert.
Was ist nun die Lösung des Problems? Es geht darum, die Antwort selbst zu finden. Wenn man in dem Wissen, die Antwort in sich zu haben, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Funktion des Denkens richtet und bis zur Quelle taucht, aus der die Gedanken aufsteigen, verschwinden diese von selbst. Es stimmt, das Auge kann sich selbst nicht sehen, aber mit einem Spiegel kann es sich sehen. Für den Sucher ist das Selbst der Spiegel.
Häufig wird von der Reinigung des Geistes oder der Psyche gesprochen, wie von einem unabdingbaren Stadium vor dem Erlangen der Selbstverwirklichung. Wovon muss der Geist gereinigt werden? Wieso ist dieses Stadium eine Voraussetzung für die spirituelle Suche? Wie wird diese Reinigung erlangt?
Zuerst ist es wichtig, noch einmal klarzustellen, dass es kein Wissen gibt, das man erlangen muss, um das Selbst zu sein, da man es bereits ist. Das Selbst zu kennen, bedeutet ganz einfach das Selbst zu sein. Da wir das Selbst sind, aber das nicht wirklich wissen, müssen wir das, was wir für das Selbst halten, nämlich das Ego, eliminieren.
Die Reinigung des Geistes, d.h. der Psyche oder des Egos, gehört zu den verschiedenen Techniken, die von Religionen, von spirituellen Bewegungen und auch den Yoga-Schulen benutzt werden. Diese Reinigung ist völlig bedeutungslos für denjenigen, der dem Weg der Erkenntnis folgt.
Lasst uns klarstellen, dass das Inangriffnehmen so einer Reinigung davon ausgeht, dass wir vorher unrein sind. Ein für alle Mal sollten wir verstehen, dass wir niemals, zu keinem Zeitpunkt, unrein sind. Die Idee der Unreinheit kommt, wie eine Menge anderer Konzepte, aus dem vielfältigen Arsenal von Schuldzuweisungen, die die Religionen erfunden haben. „Ich“, das ist nicht der Körper, wie könnte ich da einen Augenblick rein oder unrein sein? Selbst der Körper kann nicht rein oder unrein sein, da er nur ein einfaches Provisorium ist, mit ständiger Änderung und Anfang und Ende.
Statt das Ego reinigen zu wollen sollte man lieber erkennen, dass es nur existiert, weil das SELBST dies erlaubt. Wenn du entdeckst, was sich hinter dem Ego verbirgt, hast du das Ziel erreicht.
Jemand, der seine wahre Natur, eins mit dem Absoluten, jenseits von Raum und Zeit, erkannt hat, wie kann sich so einer noch für die manifestierte Welt interessieren und für das, was dort passiert? Wie kann er überhaupt noch die manifestierte Welt wahrnehmen?
Es ist nicht die Person, die durch Selbstverwirklichung befreit wird, sondern es ist das verwirklichte Wesen, welches von der Person befreit wird.
Bei der Frage geht es um das Individuum, also um eine Form, die von anderen wahrgenommen wird. Eine weise Antwort auf die Frage wäre: Verwirkliche zuerst und dann wirst du verstehen.
Wie soll man einen Zustand erklären, der kein Zustand ist, da er sich außerhalb der Dualität befindet? Wir können nur innerhalb der Dualität reden. Das Problem ist: die Leute sehen einen verwirklichten Menschen und denken, „oh, der ist verwirklicht“, aber sie sehen weiterhin einen Menschen. Der Mensch erscheint physisch so wie vor der Verwirklichung — doch das betrifft nur den Anschein. Tatsächlich ist es für ihn ganz anders. Der Befreite ist ein für alle Mal von seiner Individualität befreit und betrachtet den Film des Lebens des Individuums, das er glaubte zu sein, so als wäre das nichts anderes als ein Traum.
Wenn man aus dem Traumzustand kommt, kann man über die Träume, die man in diesem Zustand erlebte, nachsinnen, doch das tut man nicht lange, da man weiß, dass es nur Träume waren. Ein Wesen, das seine wahre Natur verwirklicht hat und vergleichbar aus dem Zustand getreten ist, den man „Wachzustand“ nennt, bemerkt, dass es sich dabei nur um einen weiteren Traum handelte. Das Wesen wohnt anschließend dem weiteren Verlauf dieses „Films“ bei, ohne davon beunruhigt zu werden. Die Leinwand wird durch die Bilder, die sich auf ihr zeigen, nicht beeinflusst.
Ein verwirklichtes Wesen sagt nicht, es würde die manifestierte Welt wahrnehmen, da es für dieses Wesen nichts außerhalb des Selbst gibt. Das Selbst ist die Gesamtheit des Manifestierten und des Nichtmanifestierten. Für das befreite Wesen bestehen keine Unterschiede, stattdessen gibt es ein einziges Ganzes. Doch Worte können nicht ausdrücken, was nicht ausdrückbar ist.