„Ein Quentlein des lebendigen Glaubens ist höher zu schätzen als ein Zentner des bloßen historischen Wissens.“
Textquelle:
August Hermann Francke, Werke in Auswahl. Luther-Verlag Witten/Ruhr 1969. (Text geringfügig bearbeitet)
August Hermann Francke (1663-1727) gehört zu den wichtigsten Vertretern des Pietismus. Der Pietismus ist eine Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche gegen die nach außen gerichtete Glaubenseinstellung der traditionellen Lutheraner. Die Pietisten suchten die individuelle innere religiöse Erfahrung. Die Bewegung erhielt nur stellenweise Anerkennung; die meisten lutherischen Theologen konnten sich mit ihr nicht anfreunden.
August Hermann Francke wurde in Lübeck als Sohn eines angesehenen Juristen geboren. Mit 14 Jahren gelobte er vor sich selbst, dass sein Leben völlig Gott gehöre. Dem entsprechend schlug er die Laufbahn eines Geistlichen ein, eines evangelischen natürlich, wie in Norddeutschland üblich. Vor seiner ersten Predigt — er war 24 Jahre alt — plagte ihn allerdings die unüberbrückbare Gewissensnot: Er war sich sicher, den echten Glauben nicht zu besitzen und damit vor seinem eigenen Herzen nicht das Recht zu haben, in der Kirche zu predigen. Statt in seiner Sicht einen Betrug zu begehen, wollte er lieber die Predigt absagen.
Inzwischen fuhr ich mit fleißigem Gebet fort, auch in der größten Unklarheit meines Herzens. Am nächsten Tag entschloss ich mich, dass ich, wenn sich keine Änderung ereignete, die Predigt wieder absagen würde. Ich konnte nicht ohne echten Glauben gegen mein eigenes Herz predigen und so die Leute betrügen. Ich fühlte es nur zu hart, keinen Gott zu haben, an den sich das Herz halten kann; nicht zu wissen, wer Gott sei, und nicht zu wissen, ob es ihn wirklich gibt. In solcher großen Angst legte ich mich nochmals auf meine Knie und rief den Gott an, den ich noch nicht kannte. Ich glaubte nicht an eine Rettung aus meinem elenden Zustand, außer wenn es wirklich einen Gott gäbe. Da erhörte mich der Herr, der lebendige Gott, von seinem heiligen Thron, als ich noch auf meinen Knien lag. So groß war seine Vaterliebe, dass er mir nicht nur nach und nach meine Zweifel und die Unruhe meines Herzens nahm — obwohl mir das genügt hätte, — sondern er erhörte mich plötzlich. Denn wie man eine Hand umwendet, so waren alle meine Zweifel hinweg. Ich war versichert in meinem Herzen von der Gnade Gottes in Christo Jesu. Ich konnte Gott nicht allein Gott, sondern meinen Vater nennen. Alle Traurigkeit und Unruhe meines Herzens waren auf einmal weggenommen, und stattdessen wurde ich wie von einem Strom von Freuden plötzlich überschüttet, so dass ich Gott aus ganzer Kraft lobte und pries, der mir solche große Gnade erwiesen hatte. Ich stand in ganz anderer Verfassung auf, als in der ich mich auf die Knie gelegt hatte. Denn mit großem Kummer und Zweifel hatte ich meine Knie gebogen, aber mit unaussprechlicher Freude und großer Gewissheit stand ich wieder auf.
Als ich niederkniete, glaubte ich nicht, dass es einen Gott gäbe, und als ich aufstand, hätte ich seine Existenz ohne Furcht und Zweifel selbst bei Vergießung meines Blutes bezeugt. Ich begab mich darauf zu Bett, konnte aber vor großer Freude nicht schlafen, und wenn sich die Augen ein wenig schlossen, erwachte ich bald wieder und fing von neuem an, den lebendigen Gott, der sich meiner Seele zu erkennen gegeben hatte, zu loben und zu preisen. Denn es war mir, als hätte ich in meinem ganzen Leben wie in einem tiefen Schlaf gelegen, und als hätte ich alles nur im Traum getan und wäre jetzt davon richtig aufgewacht. Mir war zumute, als wäre ich tot gewesen und jetzt lebendig geworden. Ich konnte mich nicht die Nacht über in meinem Bett halten, sondern ich sprang vor Freuden heraus und lobte den Herrn, meinen Gott. Ja, es war mir viel zu wenig, dass ich Gott loben sollte, ich wünschte, dass alles mit mir den Namen des Herrn loben sollte. Ihr Engel im Himmel, rief ich, lobet mit mir den Namen des Herrn, der mir solche Barmherzigkeit gezeigt hat. Ich war ganz und gar überzeugt, dass alle Welt mit all ihrer Lust und Herrlichkeit solche Süßigkeit im menschlichen Herzen nicht erwecken könnte, wie diese.
Soweit Franckes Bericht.
Die neue Leidenschaft, die er seit seinem Erlebnis in sich spürte, verließ ihn sein Leben lang nicht. Sein weiterer Lebenslauf war voller Schwierigkeiten und Gegner, die er jedoch schließlich alle meisterte. Sein Glaube, dass Gott ihn nicht im Stich lässt, war unerschütterlich. Aus seiner erstaunlichen Tatkraft entstand u.a. ein Rettungswerk für arme Kinder in Halle a. d. Saale, das er zu einem riesigen Komplex ausbauen konnte und welches heute noch als die Francke'schen Stiftungen besteht.
Derjenige, der ruhelos für Gott ist und nichts anderes will als ihn, wird ihn sicherlich erlangen.